Der Herr der Falken - Schlucht
er will. Ich würde deinem Papa helfen herauszufinden, woher er kommt, warum man ihn als kleinen Jungen töten wollte und ihn später wie Tante Laren in die Sklaverei verkaufte.«
»Ich weiß nicht, ob du die Richtige für meinen Papa bist«, sagte Kiri und sah Chessa mit seitlich geneigtem Kopf an. »Du siehst Tante Mirana so ähnlich. Vielleicht will mein Papa keine neue Frau, weil er meine Mama so gern hatte. Vielleicht mag mein Papa dich gar nicht.«
Sie entwand sich Larens Armen und rannte zur Tür.
»Liebling«, rief Laren ihr nach. »Spielt im Hof und bleibt innerhalb der Umzäunung.«
Cleve kehrte am frühen Abend mit der schlafenden Kiri im Arm zurück. »Wir verbrachten den Nachmittag auf dem
Ostfelsen und haben Strandläufer und Austernfischer beobachtet.« Mehr sagte er nicht. Chessa würdigte er keines Blickes. Erst spät am Abend, als alle Vorbereitungen trafen, sich schlafen zu legen, trat er auf sie zu und schaute sie lange schweigend an. Ein Fettfleck zierte ihr Kleid, ihr Haar war aufgelöst, und ihr Gesicht vom Herdfeuer gerötet.
»Schau mir ins Gesicht«, befahl er. »Was siehst du?«
Sie lächelte zu ihm auf, hob langsam die Hand und fuhr mit dem Finger über seinen Mund, seine Nase, glättete seine Augenbrauen. Schließlich glitten ihre Fingerkuppen die gezackte Narbe entlang. »Ich sehe dich«, sagte sie. »Ich sehe den Mann, den ich begehre, den einzigen Mann, den ich je begehren werde. Und wenn ich dich sehe, wird mir leicht ums Herz, und ich möchte lachen und tanzen. Ich möchte dich küssen und dich berühren. Ich sehe den Mann, den die Götter für mich erschaffen haben. Und nun Cleve, schau du mir ins Gesicht. Was siehst du?«
Er berührte sie nicht, wie sie es getan hatte. »Ich habe noch nie Augen von solcher Farbe gesehen. Das Grün wirkt im Fackelschein beinahe schwarz. Deine Augen leuchten geheimnisvoll, als wüßtest du Dinge, die andere nicht wissen. Stimmt das, Chessa?«
»Nein.«
Sie hatte den dringenden Wunsch, ihn zu küssen. Sie hatte Ragnor ein paar Mal geküßt und fand diese Berührung der Lippen seltsam.
»Cleve.« Sie stellte sich auf Zehenspitzen. Ihr Herz pochte so laut, daß er das Hämmern mit Sicherheit hören mußte. Sie legte ihre Hände flach auf seine Brust, spürte die Hitze seines Körpers und den regelmäßigen Schlag seines Herzens.
»Siehst du noch etwas Cleve?«
»Ich sehe eine Frau, die nicht das tut, was man von ihr verlangt.«
»Ist das alles? Seltsame Augen und eine Frau, die sich nicht am Nasenring führen läßt? Ich spüre dein Herz, Cleve. Es schlägt sehr schnell.«
»Wenn du näher kämst, würdest du auch die Härte meines Geschlechts spüren. Das bedeutet nichts, Prinzessin. Ich bin ein Mann, und jeder Mann hat Lust, mit einer ansehnlichen jungen Frau zu schlafen. Mehr ist es nicht.«
Seine Hände umfingen ihre Handgelenke, und er schob sie sanft von sich. »Merrik, seine Männer und ich bringen Ragnor, Kerek und Torric nach York. Das dürfte nicht länger als fünf, höchstens acht Tage dauern, je nach Wetterlage und anderen Unwägbarkeiten, an die ich gar nicht denken mag. Anschließend bringen wir dich nach Rouen. Während unserer Abwesenheit bekommst du deine Monatsblutung. Ich glaube nicht, daß du schwanger bist, weil du Ragnors Kind nicht haben willst. Nein, du bist nur eigensinnig. Du weigerst dich, deinem Vater zu gehorchen und widersetzt dich ihm auf diese Weise. Solltest du dich weigern, Wilhelm zu heiraten, bringe ich dich zu König Sitric zurück.«
»Aber hast du denn nicht gehört? Ich bin keine Prinzessin.«
Er zuckte die Schultern. »Du bist die Tochter des Königs von Irland, folglich bist du eine Prinzessin. Du hättest dein Geständnis getrost in Ragnors Gegenwart machen können. Wir brechen morgen auf. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Prinzessin.«
Sie blickte ihm wehmütig nach. Er glaubte, er müsse ihrem Vater und Herzog Rollo gegenüber Wort halten. Aber da war noch mehr. Die Frau, die er einst liebte, hatte versucht, ihn umzubringen. Das machte ihn natürlich mißtrauisch Frauen gegenüber. Sie mußte ihm beweisen, daß er ihr vertrauen konnte, daß er von ihr nie etwas befürchten mußte, und daß sie ihm bis an ihr Lebensende treu war.
Und wenn er sie nicht haben wollte? Aber er hatte sich zweimal vor den Augen aller in rasendem Zorn auf ihren Angreifer gestürzt. Sie mußte ihm die Wahrheit sagen. Sie war nicht nur keine Prinzessin, sie war auch nicht vergewaltigt worden. Sie stellte sich sein
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