Der Herr der Falken - Schlucht
Gefangene.«
Chessa blickte sie ungläubig an.
»Ich stamme wirklich aus dem Geschlecht der Tur in Bulgarien. Als mein Vater mich an König Guntrum verschacherte, der mich mit seinem Bruder Olric vermählen wollte, wehrte ich mich mit allen Kräften dagegen, leider ohne Erfolg. Als Olric erkannte, daß ich ihn haßte und daß ich mich ihm niemals unterwerfen werde, geriet er in Zorn und vergewaltigte mich mehrmals. Nachdem ich Ragnor zur Welt gebracht hatte, setzte er mich gefangen und nahm mir das Kind weg. Seit einundzwanzig Jahren bin ich nun in diesem Gemach und diesem Garten eingesperrt. Damals glich das hier einer übelriechenden Kloake. Im Lauf der Jahre habe ich einen Garten und einen schönen Raum gestaltet. Zeit genug hatte ich ja. Ich erhielt mehr und mehr Freiheiten, doch die Wachen folgen mir nach wie vor auf Schritt und Tritt.«
»Gestern abend seid Ihr in den Speisesaal gerauscht wie eine wahre Königin. Ihr habt den König und Euren Sohn beleidigt, Ihr habt das große Wort geführt. Irgendwie habt Ihr Euch ziemlich verrückt aufgeführt.«
Turella lachte leise. »Olric läßt sich leicht von jemandem lenken, der stärker ist als er. Ich bin stärker. Zu den Mahlzeiten darf ich mich im Palast frei bewegen, selbstredend jedoch nicht ohne die Wachen. Kerek hält für mich Augen und Ohren offen. Der König vertraut ihm und ist völlig von ihm abhängig. Kerek sagte mir, daß du im Wesen große Ähnlichkeit mit mir hast, und daß es dir ein leichtes sein wird, Ragnor zu beherrschen. Ich bin eine Gefangene, mein Gemach ist verschlossen. Ich werde Tag und Nacht bewacht.«
Chessa blickte in den Garten. Die Sonne strahlte, die Luft war mild und duftete süß. Bienen tauchten in die Blütenkelche. Sie wandte sich an Turella: »Ich glaube Euch nicht. Die Wachen sind zu Eurem Begleitschutz, um Euch vor zudringlichen Menschen zu schützen, die Ihr nicht sehen wollt, und um Euch vor dem König zu schützen. Die Wachen würden ihr Leben für Euch geben. Ihr seid die Herrscherin hier, nicht dieser abstoßende, alte Mann.«
»Bei den Göttern«, entfuhr es Turella lachend. »Kerek hat wirklich recht.«
»Gut. Ich habe mich geirrt. Ihr seid tatsächlich eine Gefangene und interessiert Euch nur für Eure Blumen.«
Die Königin lachte lauter. »Du kannst einen Irrtum nicht mit dem nächsten Atemzug einsehen und zurücknehmen. Ja, ich beherrsche das Danelagh, aber ich beherrsche es heimlich und mit List. Das ist schwer, und viele Dinge entgehen mir. Wenn der König einmal tot ist, hast du es leichter. Ragnor will umschmeichelt werden, dann ist er zufrieden. Du wirst deine Sache gut machen. Ich werde dir helfen, und Kerek wird dir helfen. Du mußt mit Ragnor schlafen und ein Kind zur Welt bringen, dann kannst du ihn mit Bettgefährtinnen versorgen, wie ich es mit dem König gemacht habe. Sind die beiden jungen Mädchen von gestern abend nicht bezaubernd? Sie sind von Geburt an stumm, und sie sind zufrieden und glücklich, dem alten Mann jeden Wunsch zu erfüllen. Beide lieben schöne Kleider, und ich sorge dafür, daß ihre
Gewänder von sämtlichen Hofdamen bewundert werden. Ja, auch auf ihre Loyalität kann ich zählen. Ah, da kommt Kerek. Sie weiß Bescheid, mein Freund.«
»Prinzessin«, verneigte Kerek sich. »Ich konnte Euch nicht einweihen, dafür habt Ihr gewiß Verständnis. Es wäre zu gefährlich gewesen.«
»Ich werde Ragnor trotzdem nicht heiraten. Ihr, Hoheit, werdet durch Euren Sohn regieren, sobald der König stirbt. Sucht ihm eine Frau, die ihn umschmeichelt und ihm einen Sohn zur Welt bringt. Ich bin nicht die Richtige.«
»Ich werde nicht ewig leben. Ich muß eine Nachfolgerin ausbilden. Das Danelagh darf nicht an die Sachsen fallen.«
»Was mich betrifft, Hoheit, kann das Danelagh meinethalben verrotten. Wenn Ihr nicht fähig seid, Euer Land zu regieren, verdient Ihr es nicht anders, als die Herrschaft abzugeben.«
»Wenn ich Zwang anwenden muß«, entgegnete Turella gelassen, »um dich gefügig zu machen, werde ich es tun.«
Chessa lächelte. »Und was werdet Ihr mit meinem ersten Kind tun?«
»Ich werde mich darüber freuen, wie alle anderen auch.«
»Aber mein erstes Kind ist nicht von Ragnor.«
Kerek erschrak, doch dann schüttelte er unwirsch den Kopf. »Mit dieser List habt Ihr es schon einmal versucht. Ein zweites Mal kommt Ihr damit nicht durch.«
»Ich bin von Cleve schwanger. Zweifelst du daran, Kerek?«
»Ich glaube Euch nicht. Er hat sich von Euch ferngehalten. Ständig
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