Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
Flügelträger«, empörte sich jedoch einer der Männer. »Es ist unser gutes Recht, zu bleiben. Außerdem muss jemand bei dem Jungen sein … Jemand muss sich um ihn kümmern … nachher … «
    »Gut«, sagte Shoky widerwillig. »Bist du jetzt zufrieden, Iwon?«
    »Vollauf!«, antwortete dieser.
    »Hasst du Danka so sehr?«
    »Ich hasse die Freiflieger! Und er hat einen von ihnen entkommen lassen!«
    Shoky baute sich vor mir auf und langte nach seinem Dolch. Ich wollte mich befreien, aber die beiden anderen Jungen hielten mich so fest, dass ich mich nicht rühren konnte. Was hatte Shoky bloß vor?
    »Lasst ihn los!«, schrie Len. »Es war doch alles ganz anders! Danka, sag ihnen … «
    »Schweig!«, brüllte ich. »Schweig! Das ist ein Befehl, Junior!«
    Len verstummte und presste sich die Hände vor den Mund. Er starrte mich absolut entsetzt an. Wenn Iwons Kumpane mich in dieser S e kunde losgelassen hätten, wäre ich glatt zu Boden gesackt – so weiche Knie hatte ich.
    »Warum hast du den Freiflieger entkommen lassen?«, fragte Shoky, wobei er sich ganz dicht an mich heranschob. Meine Lüge hatte er mir also nicht abgekauft.
    »Ich konnte ihn nicht schlagen. Er sah dir ähnlich«, gestand ich im Flüsterton. Ich bemerkte, wie mein einziger Freund unter den Seni o ren erbleichte.
    »Dann war es mein Bruder«, sagte er leise. »Aber das ändert auch nichts.«
    Iwon trat hinter meinem Rücken hervor, stellte sich neben Shoky und riss mir mit einer raschen Bewegung die Brille von der Nase. Finsternis umhüllte mich. Mist! Jetzt war ich der einzige Blinde unter lauter Sehenden! Um mich herum gab es nur geräuschvolles Atmen und Angst. Angst und noch mehr Angst …
    »Lass mich das machen!«, verlangte der unsichtbare Iwon.
    »Nein«, wies Shoky ihn ab. »Haltet seinen Kopf fest!«
    In dem Moment begriff ich, was sie vorhatten. Ganz genau wusste ich es. Ich zappelte wild los, versuchte mich zu befreien oder wenig s tens den Kopf wegzudrehen, aber mehrere Hände hielten ihn wie in einem Schraubstock fest.
    »Nein!« Außer zu schreien konnte ich nichts tun. »Nur das nicht! Dann bringt mich lieber um!«
    Daraufhin hielt mir auch noch jemand den Mund zu. Ich rammte meine Zähne in die Hand, konnte aber nicht mal den Flügeloverall durchbeißen. In meinem linken Auge explodierte ein brennender, irrer Schmerz, der von dem Stoß mit dem Dolch stammte. Blutrotes Licht loderte auf …
    Als sie meinen Kopf das zweite Mal in die Zange nahmen, brach der Schmerz im rechten Auge aus. An das, was folgte, konnte ich mich später nicht mehr erinnern. Denn ich wurde ohnmächtig.

6 Der Wahre Blick
    I ch lag zugedeckt da und nichts tat mir weh. Es war ja auch übe r haupt nichts Schlimmes passiert. Ich war einfach neben dem Sonne n kater eingeschlafen, Len und ich hatten das Fliegen noch nicht tra i niert, wir waren noch nicht Patrouille geflogen, hatten noch nicht …
    Halt! Das alles war schon passiert!
    Als mir der ganze Horror wieder einfiel, schrie ich auf. Eine Hand berührte mein Gesicht.
    »Ganz ruhig, mein Junge, ganz ruhig. Hör auf zu schreien. Und ve r such, nicht zu weinen.«
    »Wo bin ich?«
    »Bei mir.« Die Stimme kannte ich nicht. Sofort fügte ihr Besitzer hinzu: »Bei Gert, dem alten Gert. Hast du noch nicht von mir gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das macht nichts, mein Junge. Möchtest du etwas essen? Schlie ß lich hast du erst vor Kurzem einen Patrouillenflug absolviert … «
    Aber ich wollte nichts essen.
    »Und trinken?«
    Gert flößte mir etwas ein, ohne dass ich zu sagen gewusst hätte, was ich da trank. Anschließend streichelte er mir noch einmal über die Wange.
    »Wo ist Len?«
    »Er ist zu sich … zu euch nach Hause gegangen. Für dich ist es be s ser, wenn du erst einmal bei mir bleibst, mein Junge. Einen Tag vie l leicht, oder zwei … «
    »Ist es eigentlich um uns herum dunkel?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete Gert nach kurzem Zögern. »Deine Augen sind fest verschlossen.«
    »Und wenn ich sie aufmache?«
    »Das solltest du besser nicht tun, mein Junge. Ich habe dir eine Sa l be aufgetragen, aber wenn du die Augen aufschlägst, kommt der Schmerz zurück.«
    »Bleibt das jetzt immer so?«
    Gert schwieg.
    »Was passiert jetzt mit mir?«
    »Wenn ein Flügelträger nicht mehr fliegen kann, erhält er kein E s sen.«
    Ich lachte hysterisch los. Fliegen? Wenn ’ s weiter nichts ist! Obwohl sie mir die Augen ausgestochen hatten, galt ich also noch als Flüge l träger. Schließlich

Weitere Kostenlose Bücher