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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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flüsterte: »Ich könnte Ihnen einen Vorschlag machen. Beantragen Sie ei n fach ein Transitvisum.«
    »Wie bitte?«
    »Wenn Sie erklären, nur nach Italien einreisen zu wollen, um von dort mit dem Schiff in einen anderen Staat zu emi g rieren, dann bekommen Sie ein zeitlich begrenztes Visum. Sobald Sie bei Ihren Verwandten sind, schildern Sie den Behörden dort schriftlich ihren Fall und beantragen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.«
    Johan war sprachlos. Hatte Mitleid die Kruste der Schre i berseele gesprengt oder lediglich das Bedürfnis, die lästigen Bittsteller loszuwerden?
    Nico streckte die Hand vor. »Kann ich bitte die Formulare haben?«
     
    »Wann soll’s denn losgehen?«, fragte der letzte Kunde. Die amtliche Ladenschlusszeit war bereits überschritten, als er endlich auftauchte, um seine Repetieruhr abzuholen.
    »Ich habe in den letzten Tagen so viele Dinge gleichzeitig erledigen müssen. Heute ist Mittwoch, oder?«
    Der letzte Kunde nickte. »Ja, der 9. November.«
    »Dann also übermorgen.«
    »Das ist gut.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die Zeiten sind düster geworden für Menschen wie Ihren Meister und seine Frau.« Der Kunde senkte die Stimme. »Ich bin ja, wie Sie wissen, im Bauamt tätig, und da b e kommt man so einiges mit. Sie errichten seit letzten Monat in einem Steinbruch im Bezirk Perg ein Lager. Mauthausen ist als Außenstelle für Dachau gedacht.«
    Nico entsann sich des Prominententransports vom April und murmelte: »Das Unheil rückt näher.«
    Der letzte Kunde nickte traurig. »Eine Schande, was da passiert. Ich wünsche Ihnen und den Mezeis eine gute Re i se. Sagen Sie dem alten Johan und seiner Frau, dass ich sie vermissen werde.«
    »Das mache ich. Ihnen auch alles Gute, und was Ihre Uhr anbelangt: Es geht ihr jetzt wieder prächtig. Sie wird Ihnen sicher noch lange die Stunde schlagen.«
    Nachdem der letzte Kunde gegangen war, löschte Nico das Licht und ließ noch einmal den Blick durch die leer geräumten Räume schweifen. Im von draußen durchs Schaufenster fallenden Schimmer der Straßenlaterne e r schienen sie noch trostloser als bei Tage. Sosehr er sich die Rückkehr nach Nettuno gewünscht hatte, jetzt überkam ihn doch die Wehmut. Ein Weinhändler mit makellosem Arie r nachweis hatte das Geschäft gekauft. Nico seufzte. Es war so kahl, und das muntere Ticken der Uhren fehlte ihm schon jetzt. Nie mehr würde es hier so sein wie früher. Traurig schloss er den Laden ab.
    Die Stufen zur Wohnung hinauf nahm er bedächtig, so als wolle er jede ein letztes Mal zählen. Die Mezeis packten gerade noch ein paar Habseligkeiten zusammen. Einiges hatten sie schon vor Tagen mit der Bahn vorausgeschickt. Die meisten Möbel übernahm der Weinhändler. Lea befand sich in keiner guten Verfassung. Wer dreiunddreißig Jahre an einem Ort gelebt hatte, der ließ sich nicht gerne vertre i ben.
    Johan köpfte eine Flasche Marillenlikör, um die trübe Stimmung zu verscheuchen. Schleppend kam ein Gespräch in Gang. Bald beschwor das süße Gesöff allerlei Erinneru n gen herauf, viele schöne, aber auch traurige.
    Zu vorgerückter Stunde drang plötzlich Lärm von der Straße hinauf.
    Lea reagierte zuerst. Ihr Kopf ruckte hoch »Hört ihr das?«
    Der Meister und sein Geselle lauschten. »Hoffentlich ist es nicht das, was ich befürchte«, flüsterte Nico.
    Johan sah ihn erschrocken an. »Du glaubst doch nicht …?«
    Der Junge nickte. »Der wilde Kommissar, der aussah wie eine Reitpeitsche, hatte versprochen wiederzukommen. Besser, wir machen das Licht aus.«
    Im Nu waren die drei auf den Beinen. Nico sprang zur Tür und schaltete die Wohnzimmerlampe aus. Dann gesel l te er sich zu den anderen beiden, die schon bei den Fenstern waren. Die Flügel wurden aufgerissen, und man beugte sich hinaus. Augenblicklich schwoll der Lärm zu vielfacher Lautstärke an. Wieder das Gejohle, einige sangen »Die Fahne hoch …«. Aber auch andere Geräusche, die sie zuvor nicht vernommen hatten, drangen nun an ihr Ohr. Der Wind führte das Klirren zerspringender Scheiben mit sich. Offe n bar wütete der Pöbel auch im übrigen Bezirk, womöglich in der ganzen Stadt. Oder sogar bis zum äußersten Zipfel des Reiches …?
    »Beim Ewigen!«, jammerte Lea. »Sie haben wieder Knüppel und Fackeln. Und dabei sind sie noch so jung! Wer stiftet Kinder nur zu solchen Untaten an?«
    »Eher Halbwüchsige. Einige Braunhemden von der SA sind auch dabei«, knurrte Johan. Er legte seinem Gesellen die Hand auf die

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