Der Herr der Unruhe
sich hingesetzt zu haben. »Dann ist es ta t sächlich ernst. Worum geht es in dem Ultimatum?«
Davide fühlte sich berufen, darauf zu antworten. »Um Gold. Kappler verlangt innerhalb von sechsunddreißig Stunden fünfzig Kilogramm davon. Wenn wir das Schut z geld bis zum 29. September nicht zusammenbekommen, sollen wir ihm die Namen von dreihundert Geiseln ne n nen.«
»Fünfzig Kilo? Das klingt viel.«
»Das hat Rabbi Zolli auch im ersten Moment gesagt. Er bat mich darum, ihm bei der Sammlung zu helfen. Ich habe versucht ihm Mut zu machen. Eigentlich ist die Forderung der Deutschen recht moderat. Nach den letzten mir bekan n ten Zahlen der internationalen Goldbörse entspricht das Lösegeld ungefähr einem Betrag von sechsundfünfzigta u send Dollar, also gut viereinhalb Dollar pro Nase.«
»Dann werdet ihr das Gold auftreiben?«
Davide spreizte die Finger. »Du kannst dir vorstellen, was für eine Aufregung im Viertel herrscht. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz so zuversichtlich. Rabbi Zolli hat sich den Deutschen als Geisel angeboten, aber Kappler will keine Seelen, sondern Edelmetall.«
»Ehrlich gesagt fürchte ich, dass die Deutschen sich damit nicht zufrieden geben werden. Ich weiß von Karl Hass – er gehört zu Kapplers Stab –, dass sie schon seit Jahren alles daran setzen, unser habhaft zu werden. Wir sollten auf alle Fälle einen Notplan parat haben.«
»Woran denkst du?«, fragte Lea.
»Zunächst daran, dass ihr beide so schnell wie möglich in euer Versteck zurückkehren müsst. Auch Davide und S a lomia sollten untertauchen. Ich werde morgen früh zu L o renzo gehen und ihn um Hilfe bitten.«
»Daran hatte ich auch schon gedacht«, sagte Davide. »Vielleicht kann unser Freund seinen Oberhirten endlich dazu überreden, sein Schweigen zu brechen.«
»Oder uns im Notfall mit ein paar Kilo Gold auszuhe l fen.«
Johan stieß ein bitteres Lachen aus. »Pacelli? Ich bitte dich, Junge! Er hält uns für Gottesmörder.«
»Mag sein, aber als im Juli die Bomben fielen, fuhr er o h ne Umschweife zu den Ruinen hinaus und beschwor die Menschlichkeit. Vielleicht können wir doch an sein chris t liches Gewissen appellieren.«
»Vergiss es, Junge. Er wird uns das Gold nie geben.«
»Lass es mich wenigstens versuchen, Meister Johan. L o renzo Di Marco erzählte mir mal, dass Pius XII. kein Ve r hältnis zum Geld hat, obwohl er ein reicher Mann ist. Ob er uns hilft oder uns weiter die kalte Schulter zeigt, hängt wohl nicht von der Höhe des Schutzgeldes, sondern von den richtigen Argumenten ab.«
»Und die willst du ihm liefern?«
»Ich bin nur ein Uhrmachergeselle. Aber Lorenzo hat eine Stimme beim Papst.«
»Da gibt es nur ein Problem«, mischte sich Salomia ein.
Nico runzelte die Stirn. »Haben wir nicht schon genug davon? Was meinst du?«
»Lorenzo di Marco sitzt im Vatikan, und den hat gerade ein SS-Kommando umstellt, angeblich zum Schutz des He i ligen Vaters.«
Die Ostgrenze des kleinsten Staates der Welt war auf den ersten Blick unsichtbar. Sie folgte in einem weiten Bogen dem äußeren Rand des Petersplatzes. Nur wenn man den Blick senkte, konnte man auf dem Pflaster eine breite Stei n linie erkennen, die den allgemein zugänglichen Teil der Città del Vaticano markierte. Da wo die steinernen Mauern begannen, endete die Öffentlichkeit. Mit Sondergenehm i gungen konnte man zwar ins verborgene Reich des kathol i schen Oberhauptes vorstoßen, aber die Angehörigen von Gestapo, SS und Wehrmacht gehörten einer Kategorie von Personen an, deren Gegenwart man hier weniger schätzte. Man war geneigt, es als Geste der stillen Anerkennung di e ser wohl gegenseitigen Animosität aufzufassen, dass Hitlers Postenkette mit ihren Maschinenpistolen genau an der Grenze zum Amtssitz des Papstes stand, aber Meister Johan hatte die Maßnahme weitaus nüchterner kommentiert.
»Sie beschützen Pacelli nicht, sondern drohen ihm, damit er das Maul hält.«
Was auch immer der wahre Beweggrund für die Umste l lung der Vatikanstadt war, sie erschwerte Nico den Besuch bei seinem katholischen Freund. Glücklicherweise war ein jüdischer Junge im Frühjahr 1932 in einige Geheimnisse des Stadtstaates eingeweiht worden, die eine Persona non grata wie Herbert Kappler niemals zu Gesicht bekommen hätte. Dazu gehörte auch die geheime Pforte, durch die N i co sich am Morgen des 27. September Zugang verschaffte.
Hinter der verborgenen Tür wurde er von Schweizerga r disten, in Empfang genommen. Er zeigte ihnen
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