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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zum Nachdenken gebracht hat, ist das liebste Steckenpferd der Kabbalisten. Kannst du dir denken, wo r um es sich dabei handelt?«
    »Um kosmische Kombinatorik?«
    Die Augen des Meister wurden groß und rund. »Genau! Einer ihrer eifrigsten Fürsprecher war Abraham Abulafia, ein spanischer Jude des dreizehnten Jahrhunderts. Eine Zeit lang soll er sich übrigens auch in Rom aufgehalten haben. Man nimmt an, dass er mit seinen Vorstellungen einige der namhaftesten Denker seiner Zeit beeindruckt hat.«
    »Ich hab noch nie von ihm gehört. Wen soll er denn b e einflusst haben?«
    »Dante Alighieri, zum Beispiel.«
    »Den Autor der Göttlichen Komödie !«
    »Richtig.«
    »Und was hat Abulafia über das Auseinandernehmen und Zusammensetzen gesagt?«
    »Du kennst die Anfangsworte des ersten Buches der Th o ra?«
    Nico warf die Hände hoch. »Meister Mezei, ich darf seit fast einem Jahr in der Synagoge vorlesen. Natürlich kenne sie: Bereschit bara Elohim et haschamajim. «
    Johan nickte zustimmend. »›Im Anfang erschuf Gott die Himmel und die Erde‹ und so weiter und so fort. Wie tat er das?«
    »Ich verstehe nicht …?«
    »Wie hat er das gemacht, Himmel und Erde erschaffen?«
    Wieder zuckte Nico die Achseln. »Keine Ahnung.«
    »Dann hast du die Thora noch nicht gründlich genug g e lesen. Darin heißt es nämlich: ›Und der Ewige sprach: »Es werde Licht!« Da wurde es Licht.‹«
    »Ja, und?«
    Johan verdrehte die Augen. »Du bist ein harter Brocken, mein Junge. Also, Abraham Abulafia behauptet, im gespr o chenen Wort des Ewigen äußere sich seine Macht. Er sprach, und so wurde es. Oder um es kabbalistisch ausz u drücken: Er las aus der ›ewigen Thora‹, und es geschah.«
    »Ewige Thora? Was soll denn das sein?«
    »Eine Buchrolle, geschrieben mit schwarzen Flammen auf weißem Feuer im Angesicht des Ewigen. Sie setzt sich aus einer riesigen Menge jener zweiundzwanzig element a ren Lettern zusammen, aus denen unser Alphabet besteht. Anfangs waren in diesem Block noch keine Worte zu e r kennen, gewissermaßen bildete er den Urstoff der Schö p fung. Hätte Adam nicht von der verbotenen Frucht gege s sen, wäre aus den Schriftzeichen eine andere Geschichte zusammengefügt worden als die heute allgemein bekannte, die in jeder Thora nachzulesen ist.«
    »Also das ist wirklich kosmisch! Aber das andere Wort …«
    »Kombinatorik?«
    Nico nickte.
    »Eigentlich ist das ein Teilgebiet der Mathematik, das sich mit Permutationen, das heißt, den Anordnungsmö g lichkeiten gegebener Dinge, befasst. Im Falle der Thora bedeutet es, dass man die verfügbaren Buchstaben durc h einander würfelt und neu ordnet. Du glaubst nicht, welche Vielfalt an Kombinationen allein in zweiundzwanzig Buc h staben steckt. Aber wenn man jedes Aleph der ewigen Th o ra vertauscht und ebenso jedes Beth, Gimel und so weiter, dann beginnt man zu ahnen, warum Jesaja schrieb, der E wige rufe jeden einzelnen im Heer der Sterne mit Namen.«
    »Und wozu soll das gut sein?«
    »Um die wahre Ordnung der Dinge zu erkennen, die vol l kommene Sprache, das Geheimnis des Werdens und Ve r gehens.«
    »Ist mir zu hoch.«
    »Lass mich dir ein Beispiel nennen, Niklas. Nimm die Buchstaben des heiligen Namens: JHWH. Abulafia hat ihm verschiedene Selbstlaute hinzugefügt und daraus vier T a feln mit je fünfzig Kombinationen erstellt. Gewaltig, nicht? Aber lassen wir die Vokale mal weg und vollziehen mit dem Tetragramm die einfachste kombinatorische Übung, die übrigens schon der Prophet Jeremia anwendete, als er aus dem Wort ›Babel‹ den Namen ›Scheschach‹ machte. Wir verschieben unseren Konsonantenrahmen einfach im Alphabet um eine Position. Heraus kommen die Buchst a ben KWSW, richtig?«
    Wieder schob Nico die Unterlippe vor und nickte.
    »Im Hebräischen spricht man diesen Namen kusu aus. Wie du weißt, dienen die Buchstaben unseres Alphabets zugleich auch der Bezeichnung von Zahlenwerten. Aus KWSW erhält man die Summe neununddreißig, hebräisch mit den Buchstaben Teth und Lamedh für ›9 und 30‹ g e schrieben. Die Lettern TL ergeben das Wort tal – im Deu t schen ›Tau‹ – , und davon leitet sich tallit ab, der Name unseres Gebetsschals, der was bedeutet?«
    »Tauträger?«
    »Sehr gut! Wenn du im Sinn behältst, wie wir das Wort durch die Neuanordnung der Buchstaben des Tetragramms hergeleitet haben, dann wäre die Übersetzung ›Tauträger des bewegten Gottesnamens‹ eigentlich zutreffender. Eh r lich gesagt traue ich diesem Humbug mit der

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