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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sich von der Assoziation zunächst überrumpelt. Aber mit einem Mal förderte sein Gedächtnis wieder alles hervor: den lauen Abend, die Wärme von Lauras Hand in der seinen, die erdrückende Herzlichkeit des Filmvorführers Ennio und die Wochenschau. War auch sie in Wirklichkeit eine »ewige Thora«, eine Abfolge von Symbolen mit einer geheimnisvollen Bedeutung? Er hatte auf der Leinwand die Festung von Nettuno gesehen und kurz drauf Massimiliano Manzini in friedlichem Körperkontakt mit Benito Mussol i ni.
    Seit seiner Rückkehr aus Wien hatte Nico das Forte Sa n gallo gemieden, weil es ihn an die schreckliche Mordnacht erinnerte und er im Zweifel war, ob er in der Festung wil l kommen sein würde. Inzwischen hatte er den »Dämon se i ner Vergangenheit« bezwungen und das Haus seines Vaters betreten. Damit fiel ein Hinderungsgrund weg. Und der andere? Er würde herausfinden müssen, ob der Baron ein Zuträger Manzinis war.
    Die Umsetzung seines Entschlusses hatte etwas mehr als zwölf Stunden in Anspruch genommen; der Schabbat war inzwischen angebrochen. Nico umrundete die Festung. Se i ne schweren Glieder bereiteten ihm allmählich Sorgen. Hoffentlich hatte er sich nicht eine Grippe zugezogen. Der Eingang des Forte Sangallo lag auf der dem Meer abg e wandten Seite. Um ihn zu erreichen, musste der Besucher einen Graben überqueren. Zu diesem Zweck gab es einen gemauerten, erhöhten Pfad, der wie ein Aquädukt aussah – von drinnen wie draußen ideal zu überwachen. Nico hoffte unbemerkt geblieben zu sein, als er endlich die Klingel b e tätigen konnte. Lange geschah nichts. Er fühlte sich vor der Tür wie auf einem Präsentierteller. Aber dann näherten sich schlurfend Schritte. Er räusperte sich. Eine viereckige Klappe im schweren Portal wurde aufgerissen, und zwei eng beieinander stehende Augen erschienen. Aus der D e ckung grauer buschiger Brauen musterten sie den Besucher.
    »Gehen Sie, gehen Sie! Sie können hier nicht herein.« Es klang nicht wirklich unfreundlich, eher entschuldigend.
    Nico wusste nicht, wie er diese Begrüßung auffassen sol l te. Er nannte seinen Namen und bat darum, den Baron spr e chen zu dürfen.
    »Den Baron?«, tönte es aus dem Guckloch.
    »Ja.«
    »Sie reden von Baron Alberto Fassini Camossi?«
    »Ja, gewiss! So groß wird die Auswahl an erlauchten Herrschaften in diesem Gemäuer doch wohl nicht sein.« Nico glaubte die Blicke sämtlicher Spitzel der Stadt im N a cken zu spüren, und seine Reaktion war dementsprechend ungeduldig.
    Die Augen im Geviert verengten sich. »Sollte ich Sie kennen?«
    »Es ist eine lange Zeit her, Signor …«
    »Mein Name ist Donatello. Ich bin kein ›Signor‹, nur der Leibdiener des Barons. Ich fürchte, ich kann Sie nicht ei n lassen.«
    Nico schob sein Gesicht dicht an die Klappe heran und raunte: »Hören Sie, Donatello. Ich habe Sie nicht gleich erkannt, weil Ihre Augenbrauen so grau geworden sind. Früher jedenfalls waren Sie nicht so abweisend. Sie haben meinen Freund und mich oft hereingelassen, wenn der B a ron uns erlaubte, von den Zinnen der Burg aus nach Nept u nia Ausschau zu halten.«
    Unvermittelt wurden die Augen hinter der Klappe größer. »Natürlich! Der Junge von Emanuele dei Rossi, dem armen Uhrmachermeister, Gott hab ihn selig. Das ist wahrlich lange her … Aber warten Sie, ich lasse Sie erst mal herein.«
    Nico atmete erleichtert auf. Er wartete, bis Donatello sämtliche Schlösser und Riegel geöffnet hatte, und trat durch das Tor in den Innenhof der Festung. Hinter ihm wurde das Portal rasch wieder geschlossen. Als sich der Diener ihm wieder zuwandte, wirkte er verlegen.
    »Ich hatte Sie zunächst für den Walzenbändiger geha l ten.«
    »Sie meinen Niklas Michel?«
    Donatello nickte. Er stand ein wenig gebeugt unter dem Türsturz und musterte den Besucher mit schwer zu deute n der Miene. Nico wunderte sich, wie klein der inzwischen wohl über Sechzigjährige war. Der alte Frack saß über dem Bäuchlein auch nicht mehr so locker wie einst. Die Zeit besitzt eben große Macht, sie verwandelt, was dem Bewo h ner des Augenblicks unveränderlich scheint.
    Sich der weisen Worte seines Meister erinnernd, lächelte der ehemalige Junge dem Mann freundlich zu, der für ihn einmal das Musterbeispiel eines Kammerdieners gewesen war. »Wie kommen Sie gerade auf den Gemeindemechan i ker, Donatello?«
    »Heute früh«, antwortete der Diener zögernd, »waren finstere Gesellen hier, die mir einen Steckbrief von dem Deutschen zeigten.

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