Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)
seinen erstaunlichen Fertigkeiten gewähren konnte. Trotzdem bereitete es mir jetzt einige Mühe, meine Bitte vorzutragen. »Ich brauche deine Hilfe.«
Sein Gesicht verhärtete sich, was eine angemessene Reaktion war, wenn man bedachte, dass ihn jemand um Hilfe bat, den er fünf Jahre lang nicht gesehen hatte und der überdies illegale Geschäfte machte. »Und welchen Dienst soll ich dir erweisen?«
»Ich habe die Kleine Tara gefunden«, erklärte ich, »und möchte wissen, ob du aus den Quellen, die dir zur Verfügung stehen, irgendetwas über sie erfahren hast. Wenn du meinst, es könnte hilfreich sein, auf Wahrsagerei zurückzugreifen, würde ich dich ebenfalls darum bitten, und zwar ohne das Schwarze Haus oder das zuständige Ministerium davon in Kenntnis zu setzen.«
Vermutlich hatte er angenommen, ich sei wegen Geld oder irgendeiner krummen Sache zu ihm gekommen. Als er nun feststellte, dass dies nicht der Fall war, kehrte seine natürliche Liebenswürdigkeit zurück. »Offenbar habe ich mir vom Umfang deiner neuen Aufgaben ein falsches Bild gemacht«, bemerkte er in leicht boshaftem Ton.
»Ich verstehe nicht ganz, was du meinst«, entgegnete ich, obwohl ich es natürlich tat.
»Dann will ich es deutlicher sagen. Wie vereinbart sich die Suche nach dem Mörder eines Kindes mit deiner gegenwärtigen Tätigkeit?«
»Wie vereinbart sich die Tätigkeit eines Ersten Zauberers des Reiches damit, einem Verbrecher zu helfen?«
»Erster Zauberer! Ha!« Er hustete in die Hand ab, was sich nicht gut anhörte. »Ich bin seit dem Jubiläum der Königin nicht mehr am Hofe gewesen. Ich weiß nicht mal, wo mein Hofgewand ist.«
»Das mit Goldfaden bestickte, das so viel wert ist wie die Hälfte der Docks?«
»Das verdammte Ding hat mich immer am Hals gekratzt.« Er lachte gezwungen, und als er aufhörte, fiel das Licht des Spätnachmittags auf einen alten, erschöpften Mann. »Tut mir leid, mein Freund, aber ich bezweifle, dass ich dir weiterhelfen kann. Als ich gestern Abend von dem Verbrechen hörte, habe ich einem Kontaktmann im Amt für magische Angelegenheiten eine Nachricht zukommen lassen. Er sagt, sie hätten einen Seher auf den Fall angesetzt, der aber nichts herausgefunden habe. Wenn der schon nichts entdecken konnte, glaube ich nicht, dass ich mehr Glück hätte.«
»Wie ist das möglich?«, fragte ich. »Wurde der Seher bei seinem Tun abgeblockt?«
»Es wäre ein Magier von außergewöhnlichen Fähigkeiten vonnöten, um alle Spuren, die er hinterlassen hat, zu verwischen. In ganz Rigus gibt es keine zwei Dutzend Magier, die solch eine komplizierte Aufgabe bewältigen könnten, und ich glaube, keiner von ihnen würde etwas derart Abscheuliches tun.«
»Macht ist keine Garantie für Anstand, eher im Gegenteil – aber ich gebe zu, dass ein Zauberer mit solchen Fähigkeiten seine Gelüste auf einfachere Weise befriedigen könnte, falls er entsprechend veranlagt ist.« Ich merkte, wie die in mir schlummernden Kräfte wieder erwachten und nach Jahren der Vernachlässigung ihre Lethargie abschüttelten. Es war lange her, seit ich eine Ermittlung durchgeführt hatte. »Was könnte – abgesehen von Magie – die Tätigkeit eines Sehers noch behindern?«
Er nahm eine Karaffe mit einer widerlich aussehenden grünen Flüssigkeit vom Kaminsims und goss das Glas, das neben der Karaffe stand, voll. »Medizin für meinen Hals«, erläuterte er, bevor er es in einem Zug leerte. »Wenn die Leiche sehr sorgfältig gesäubert oder mit irgendeiner Chemikalie desinfiziert worden ist, könnte diese Wirkung ebenfalls eintreten. Oder wenn die Kleidung, die sie trug, erst kurze Zeit mit ihrem Körper Kontakt gehabt hat. Ganz sicher bin ich mir nicht – das ist nicht mein Spezialgebiet.«
Der Geruch, den ich an der Leiche des Mädchens wahrgenommen hatte, könnte also von einem Putzmittel gestammt haben. Natürlich auch von einem Dutzend anderer Dinge, aber immerhin hatte ich einen Anhaltspunkt.
»Damit lässt sich zumindest arbeiten.« Nachdem ich einmal den Mut gefunden hatte, in den Magierhorst zurückzukehren, widerstrebte es mir jetzt, wieder zu gehen. Ein Teil von mir hätte sich am liebsten in einen der weichen blauen Sessel gesetzt, mit meinem ehemaligen Mentor eine Tasse Tee getrunken und über die Vergangenheit geplaudert. »Ich danke dir für deine Hilfe. Und dafür, dass du mich empfangen hast. Falls ich etwas herausfinde, gebe ich dir Bescheid.«
»Ich hoffe, du findest die Person, die diese Tat begangen hat,
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