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Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
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übernommen, bin aber noch nicht ganz dahintergekommen, wie der Türhüter funktioniert.« Sie nahm mich sanft bei der Hand.
    »Und wer ist das?«, fragte sie.
    Als ich nach unten blickte, bemerkte ich, dass Zeisigs Gesicht einen feindseligen Ausdruck angenommen hatte. Ich führte das auf die instinktive Abneigung zurück, die Heranwachsende gegenüber dem schönen Geschlecht empfinden, auf den tief sitzenden Impuls, der Jünglinge veranlasst, ihren zukünftigen Verlobten Dreck ins Haar zu schmieren. Es gab nur wenige Frauen in der Unterstadt, die einen Vergleich mit Celia aushielten.
    »Zeisig, das ist Celia. Celia, das ist Zeisig. Achte nicht auf seinen Gesichtsausdruck. Gestern ist er auf ein Stück rostiges Metall getreten. Wahrscheinlich hat der Wundstarrkrampf schon eingesetzt.«
    »Na, dann bin ich aber froh, dass du ihn hergebracht hast. Wir werden den Meister bitten, ihn sich einmal anzusehen.« Celias Versuch, den Jungen für sich zu gewinnen, seine irrationale Abneigung zu überwinden, erwies sich als erfolglos. Seine feindselige Grimasse wurde eher noch schlimmer. Mit einer anmutigen Bewegung wandte sich Celia wieder mir zu. »Wie ich sehe, liest du immer noch kleine Taugenichtse auf.«
    »Er ist eher so was wie ein Lehrling. Wollen wir das Gespräch eigentlich auf der Straße fortsetzen? Oder hattest du die Absicht, uns hereinzubitten?«
    Sie lachte. Ich konnte sie schon immer zum Lachen bringen. Wir kletterten ins oberste Stockwerk des Turms hinauf, wo Celia uns in Blaureihers Wohnzimmer führte. »Der Meister müsste gleich hier sein. Bevor ich nach unten gegangen bin, um euch einzulassen, habe ich ihn von eurer Ankunft in Kenntnis gesetzt.«
    Die fahle Nachmittagssonne schien zum Fenster herein. Zeisig sah sich im Zimmer um und musterte Blaureihers Schätze mit dem aufmerksamen Blick eines Menschen, dessen gesamter Besitz in einen Rucksack passt.
    Die Schlafzimmertür öffnete sich, und Blaureiher kam mit gut gelauntem Gesichtsausdruck herein, der jedoch nicht über seine Steifgliedrigkeit hinwegzutäuschen vermochte. »Welche geheime Angelegenheit führt dich diesmal her?«, fragte er, bevor er das Kind neben mir bemerkte.
    Da leuchteten seine Augen auf, wie sie es früher immer getan hatten, und die Jahre schienen von ihm abzufallen. Ich war froh, dass ich mir die Mühe gemacht hatte, Zeisig mitzunehmen. »Wie ich sehe, hast du einen Gast mitgebracht. Komm her, mein Kind. Ich bin alt, und meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher.«
    Hatte sich Zeisig Celia gegenüber abweisend und unfreundlich verhalten, so ließ er sich jetzt nicht lange bitten und trat näher zu Blaureiher heran. Wieder einmal fiel mir auf, wie gut der Magier mit Kindern umgehen konnte. »Du bist dürrer, als ein Junge in deinem Alter sein sollte, aber das war bei deinem Herrn auch der Fall. Der war so dünn wie ein Besenstiel. Wie heißt du?«
    »Zeisig.«
    »Zeisig?« Blaureihers Lachen hallte durchs Zimmer. Ausnahmsweise ging es diesmal nicht in bellenden Husten über. »Zeisig und Blaureiher! Als ob wir Brüder wären! Natürlich ist mein Namensvetter ein Wesen von würdigem Auftreten, während der deine eher ein alberner Vogel ist, der nur durch sein ziemlich nervtötendes Gezwitscher auffällt.«
    Das reichte zwar nicht ganz aus, um dem Jungen ein Lächeln zu entlocken, war aber schon nahe dran.
    »Nun denn, Zeisig. Würdest du uns die Freude machen, uns etwas vorzusingen?«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    »Dann werde ich wohl selbst für Unterhaltung sorgen müssen.« Mit jugendlichem Schwung trat er vor das Regal über dem Kamin und nahm ein seltsames, von ihm erfundenes Instrument herunter, eine Kreuzung aus Trompete und Jagdhorn, gefertigt aus Kupfer und Elfenbein. »Bist du sicher, dass du uns dein musikalisches Talent nicht vorführen willst, Zeisig?«
    Zeisig schüttelte erneut den Kopf, diesmal mit besonderer Heftigkeit.
    Blaureiher zuckte die Achseln, als wäre er zutiefst enttäuscht. Dann führte er das Instrument an die Lippen und blies mit aller Kraft hinein. Der Ton klang wie das Brüllen eines Bullen, und aus der Öffnung stiegen rote und orangefarbene Funken auf, die bunt im Zimmer herumwirbelten.
    Zeisig haschte nach den glitzernden Lichtfunken, die ihn umtanzten. Als Kind hatte ich dieses Ding geliebt – seltsam, dass ich so lange nicht mehr daran gedacht hatte.
    »Meister«, meldete sich Celia zu Wort, »solange du unsern neuen Freund unterhältst, würde ich gern kurz mit unserm alten

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