Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition)

Titel: Der Herr der Unterstadt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Polansky
Vom Netzwerk:
Tür und winkte mich durch. »Wir danken unserm geschätzten Gast, dass er die unwürdige Behandlung mit Würde über sich hat ergehen lassen.«
    Im Gegensatz zu der Kneipe im vorderen Teil des Gebäudes war Ling Chis inneres Heiligtum auf jene erdrückend opulente Weise ausgestattet, die bei den Häretikern als Nonplusultra des guten Geschmacks gilt. Laternen aus rot lackiertem Holz sorgten für gedämpfte Beleuchtung und warfen bizarre Schatten auf die Wände. Der Fußboden war mit kunstvoll gewobenen kirenischen Teppichen bedeckt, auf denen mannsgroße Figuren, bestehend aus Tausenden von farbigen Fäden, dargestellt waren. In den Ecken standen Räucherstäbchenhalter in Form von seltsamen, halb tierischen, halb menschlichen Göttern, in denen lange Stäbchen glommen, die den Raum mit schwerem Moschusduft erfüllten.
    Ling Chi lag wie hingegossen auf einem mit Seide bespannten Diwan, während ihm eine hinreißende Schönheit sachte die nackten Füße massierte. Er war in mittleren Jahren, selbst für einen Kirener von schmächtiger Statur, besaß aber eine Ausstrahlungskraft, um die ihn jeder, der größer war als er, nur beneiden konnte. Sein Gesicht wirkte maskenhaft, da es mit einer weißen Puderschicht überzogen war, die hier und da von Schönheitspflästerchen geziert wurde. Seine schwarze, kunstvoll gestylte Haarmähne umschloss ein dünner goldener Reif, der wie ein Heiligenschein über seinem Kopf aufragte. Er sah mich mit der Andeutung eines Lächelns an und ließ die Spitzen seiner künstlich verlängerten Fingernägel rhythmisch aneinanderklicken.
    Trotz seines ganzen Gehabes eines degenerierten Despoten war etwas an dem Mann, das die Frage aufwarf, wie viel davon Schein sein mochte. Nie konnte ich das Gefühl loswerden, dass er, sobald ich mich verabschiedet hatte, seine Dienerin losscheuchte, um ihm ein Paar Pantoffeln zu holen, und dass er das verrückte Gebilde auf seinem Kopf dann durch einen anständigen Hut ersetzte.
    Aber vielleicht täuschte ich mich auch. Kein Außenstehender vermag die Häretiker wirklich zu durchschauen.
    Doch so künstlich sein Image auch sein mochte, seine Position war etwas sehr Konkretes – Ling Chi, der Tod, der durch tausend Schnitte kommt, Ling Chi, dessen Wort vom Kirenerviertel bis zu den Stadtmauern Gesetz ist. Gerüchten zufolge war er entweder der uneheliche Sohn des Himmlischen Kaisers oder das Kind einer eingewanderten Prostituierten, die im Kindbett gestorben war. Ich persönlich tippte auf Letzteres – dem Adel fehlt normalerweise die Energie, die erforderlich ist, um ein derart riesiges Unternehmen unter Kontrolle zu halten.
    In weniger als einem Jahrzehnt hatte er es fertiggebracht, eine schlichte Straßengang in eine der mächtigsten kriminellen Organisationen von Rigus zu verwandeln, indem er sich über die althergebrachten Unterweltstrukturen einfach hinweggesetzt hatte. Seine führende Stellung beim Dritten Syndikatskrieg hatte dafür gesorgt, dass seine Clique zu den wenigen gehörte, die aus dieser blutigen Angelegenheit gestärkt hervorgingen, denn er schaffte es, die kleinen kirenischen Gangs zu einer Organisation zu vereinen, die schlagkräftig genug war, um den Banden der Tarasaihgner und der Rouender Widerpart bieten zu können. Gegenwärtig kontrollierte er die Hälfte der Docks und hatte seine Finger in den meisten illegalen Unternehmungen, mit denen seine Landsleute in der Stadt befasst waren.
    Außerdem war er völlig durchgeknallt und besaß weder Einfühlungsvermögen noch Gewissen, Eigenschaften, die ihn an der Expansion und Konsolidierung einer kriminellen Organisation auch gehindert hätten. Es hieß, dass im Jahr nach seiner Machtergreifung die Erträge beim Fischen in seichten Gewässern so gut gewesen seien wie seit fünfzig Jahren nicht, was auf das reichliche Angebot an Menschenfleisch zurückzuführen war, das Ling Chi im Hafen hatte verschwinden lassen.
    Er lächelte mich an. Seine Zähne waren nach Art der Kirener schwarz gefärbt. »Mein liebster Kamerad ist endlich zu mir zurückgekehrt. Zu lange habe ich ihn nicht gesehen.«
    Ich deutete eine Verbeugung an. »Mein intimster Vertrauter erweist mir Ehre, wenn ihm meine Abwesenheit auffällt.«
    »Eine kleine Anerkennung der vielen guten Dienste, die mein geliebter Verbündeter mir schon geleistet hat.« Die Sklavin nahm einen Schmirgelstein in die Hand und polierte ihm damit behutsam die Fußnägel, wobei sie seinen nackten Fuß leicht anhob. In Ling Chis Gesicht wies nichts

Weitere Kostenlose Bücher