Der Herr der zerstörten Seelen
Pandabären zeigte: Weingart.
Sie klingelte. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht. Während sie noch nach dem verdammten Schalter suchte, öffnete sich bereits die Tür. Sie konnte nur eine Silhouette erkennen. Es war die Silhouette eines Mannes.
»Bitte, verzeihen Sie die Störung … Ich suche Iris Weingart.«
Der Mann tat unschlüssig zwei Schritte rückwärts, drehte den Kopf und rief: »Iris!«
Das Licht flammte auf. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne und beleuchtete sein knochiges junges Gesicht, an dessen Seiten dünne blonde Haarsträhnen auf ein paar magere Schultern fielen.
»Da vorne, gleich die übernächste Tür …« sagte er.
Sie war klein, zierlich und auf eine zarte Weise hübsch. Das Dreiecksgesicht mit den breiten Wangenknochen unter kurzgeschnittenen Fransen rötlichen Haares wurde von zwei braunen erstaunten Augen beherrscht.
»Ich bin Do Folkert«, sagte Dorothea. »Katis Mutter. Tut mir wirklich leid, Fräulein Weingart, wenn ich Sie so spät überfalle, nur … ich fürchte, es geht nicht anders.«
Stoffteile lagen um Iris Weingart auf der Couch verstreut. Sie ließ die Schere sinken, die sie in der Hand hielt, und blieb vollkommen ruhig. »Kati? – Die Kati hab' ich lange nicht mehr gesehen.«
»Zu mir sagte sie, Sie wären ihre beste Freundin …«
»Ach nein? – Was ist denn los?«
»Kati ist verschwunden.«
»Was heißt verschwunden? Wollen Sie sich nicht setzen? Ich mach' uns einen Tee.«
Während Do ungeschickt nach Worten suchte, immer unter dem Blick dieser aufmerksamen braunen Augen, wurde ihr bewußt, wie unwirklich alles wirken mußte, was sie erzählte.
Iris Weingart reagierte nicht. Sie verschwand und kam mit zwei Gläsern zurück, in denen Teebeutel schwammen.
»Die beste Freundin? Soll ich Ihnen sagen, wie das in einer Akademieklasse ist? Wie bei den Schiffbrüchigen. Die Schwächeren kriechen zusammen. Da gibt's all diese Supergenies. Die können kaum laufen, so gut finden die sich … Na, und dann gab's noch uns: die Kati, die Tochter der Starjournalistin aus Starnberg – und mich, die Iris aus Castrop-Rauxel. Schon wenn der Name Castrop-Rauxel fiel, fingen die an zu lachen.«
»Die Tochter der Starjournalistin? War das Katis Bezeichnung für mich?«
Iris Weingart verzog den Mund. »Hätten Sie's gern anders gehabt? Es stimmt doch?«
Do schwieg. Sich in Katis Welt zu versetzen, darum ging es, nur das konnte weiterhelfen … Und du Kuh hast immer gedacht, deine Tochter wäre wenigstens stolz auf das, was du beruflich erreichen konntest, doch ›Starjournalistin‹ schien für sie ein Schimpfwort …
Do starrte in ihr Glas. Wie stand es in dem Brief? »Mit meinem Herzen und allem, was ich bin, hast Du nie etwas zu tun gehabt …«
»Sehen Sie«, sagte Do, »ich mußte beruflich für einige Tage nach Israel. Und als ich dann nach Hause kam – ich habe es ja erzählt …« Sie griff in ihre Tasche. »Aber außerdem fand ich das hier …«
Sie reichte Iris den Brief, und die junge Frau las die wenigen Zeilen.
»So etwas tut weh, nicht wahr? Das kann ich mir denken …«
»Und daß sie all die Sachen, die sie liebte, verbrannt hat, was sagen Sie dazu?«
»Was soll ich dazu sagen? Ich hab' mich mit Kati schon lange nicht mehr unterhalten. Ich bin ja nicht mehr auf der Akademie. Aber sagen Sie: Warum tun Sie das alles eigentlich?«
»Wie bitte?«
»Warum suchen Sie sie überhaupt?«
»Was soll ich denn sonst tun? Ich mach' mir solche Sorgen. Oder finden Sie richtig, wie sie sich verhält?«
»Was ist schon richtig? Sie ist halt ausgeflippt. Das tut doch jede mal. Sie hatte das schöne Haus in Starnberg einfach satt. Vielleicht nicht das Haus, aber das ewige Warten und die Anrufe … Ich war ja selbst ein paarmal draußen. Die Villa ist ein bißchen groß für jemanden, der sich allein fühlt. Sie zittern ja, Frau Folkert …«
»Ich zittere nicht.«
»Kinder großzuziehen, Frau Folkert, ist sicher ein mieser Job. Bei uns lief's genau umgekehrt: Ich bin abgehauen, weil ich das ewige Aufeinanderhocken nicht mehr durchhielt. Okay, meine Mutter meinte es gut, aber sie machte mich hysterisch mit ihrer Tuttelei. Völlig fertig machte mich das. Mein Vater, der konnte hundertmal das Schwein sein, von dem sie immer erzählte, konnte saufen, mit jungen Frauen herumhuren, das störte mich nicht. Aber meine Mutter mit ihrem moralischen Getue, ihrem ewigen: ›Ist doch so schön gemütlich mit uns. Du wirst schon sehen, was aus dir wird, wenn du immer
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