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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wissen, warum sie abgehauen ist. Finden Sie's nämlich nicht heraus, wird es sich wiederholen. Stimmt's? Außerdem …« Die nächsten Worte konnte sie nicht verstehen, der Krach war zu laut. Timo hob die Hand. Ein blasser Kahlkopf hinter der Theke nickte und drehte die Lautsprecher leiser. Timo schien hier Stammgast zu sein.
    »Sehen Sie sich diesen Laden an. Früher waren hier meist Rentner, man traf auch ein paar Vertreter. Und die üblichen Hausfrauen natürlich. Denn die Torten waren prima … Und jetzt? Die Mädchen dort unten in den Kojen sind fast alle Schulmädchen, die meisten fünfzehn oder sechzehn. Hocken den ganzen Nachmittag im ›Flori‹, machen ihre Schularbeiten, das auch, aber meistens geht's um das, was heute abend so in München abfährt oder was gestern wohl gelaufen ist. Manche lassen sich aufreißen, manche diskutieren nur so rum. Was ich damit sagen will: Diese Mädchen haben ein zentrales Problem – Langeweile. Und es ist nicht ihre Langeweile, es ist die Langeweile, die sie geboten bekommen. Überall, vor allem aber zu Hause. Sie bekämpfen sie. Im Grunde haben sie nichts anderes im Kopf, als gegen diese Langeweile anzugehen. Sie können es natürlich auch ›innere Leere‹ nennen, wenn Sie's pathetisch haben wollen.«
    »Und Sie meinen damit, daß Kati …«
    Er ging auf die Frage nicht ein. »Sie bekämpfen diese Langeweile nicht, sie erleiden sie. Das ist das Problem. Wir haben ihnen ein Leben serviert, das sie sich zu Tode gähnen läßt. Karriere, Kohle, Aufstieg, Neckermann-Ferien, Reihenhäuschen … Ja, toll! Und dann? fragen sie und gucken sich ihre Eltern an. Das soll's dann gewesen sein?«
    »Ich glaube kaum, daß das für mich gilt. Oder für das Verhältnis zu meiner Tochter.«
    »Nein?« Er drückte seine Zigarette aus. »Wirklich nicht? Sehen Sie: Die hier haben wenigstens das ›Flori‹. Hier können sie sich erzählen, wie beschissen sie die Welt finden und wie cool sie sind. Aber Kati? Wie war das bei ihr? Die hockte in Ihrer Villa in Starnberg. Allein. Klar, sie hatte eine Mutter, die sie ja so gut verstand – nur, daß die ziemlich selten zu Hause war.«
    »Haben Sie mich hierher bestellt, um mir das zu sagen?«
    »Nein. Habe ich nicht.« Er griff zum Nebenstuhl. Darauf lag eine aus dünner Schnur gehäkelte Tasche. Sie hatte hübsche braune Ornamente. Es war einer dieser Dritte-Welt-Beutel, die man bei jemandem wie Timo erwarten konnte. Er faßte hinein und zog eine Art Broschüre heraus. Der Umschlag bestand aus dünnem grünen Karton in DIN-A5-Format. Timo öffnete ihn, und Do sah, daß er nur zwei Seiten enthielt.
    »Ich wollte Ihnen nur sagen …« Er sprach jetzt ganz langsam, als lege er Wert darauf, daß sich ihr jedes Wort einprägte. »Mädchen wie Kati haben es noch schwerer. Was sie fühlen, fühlen sie zehnmal intensiver als wir, die wir schon darin Routine haben, wie man Gefühle niederknüppelt. Entsprechend heftiger sind auch die Reaktionen.«
    Do nickte zerstreut, öffnete den gefalteten Karton und las, was auf der ersten Seite stand. Ein sparsamer Text, sehr sparsam … Und was sie las, überforderte ihr Kombinationsvermögen. War das Philosophie, war es östliche Weisheitsspinnerei? Was immer es sein mochte, es steigerte Dos Ungeduld. Und in dieser Atmosphäre und unter diesen Umständen erschien es geradezu grotesk unpassend.
    Alles in einem
Das eine in dir
Und du in allem.
    Na ja, dachte Do …
    Sie wandte den Blick zur anderen Seite. Hier waren sechs Zeilen graphisch säuberlich aufgereiht:
    Er umgibt Dich mit Seiner Liebe.
Um Dich in Seinem Feuer umzuschmelzen
Und Dich zu heilen,
Bis Du Er selbst wirst …
Ergib Dich …
Wir, die Gemeinschaft, sind Gott.
    Darüber war, offenbar mit einem Computer-Printer gedruckt, dasselbe Symbol angebracht wie auf der Rückseite des Fotos aus dem ›Bali‹, das Tommi besaß. Das Omega-Zeichen.
    Unter dem gedruckten Text waren noch die folgenden handschriftlichen zwei Zeilen zu lesen: »Diese Worte sollen Dich begleiten. Vergiß sie nie. Denke sie so selbstverständlich, wie Du atmest. Denke sie immer. Dann findest Du das Ziel.
    In Liebe
Martin.«
    Und darunter noch: »Du weißt, ich bin für Dich da. Ruf mich, wenn immer Du mich brauchst.« Es folgte die Nummer eines Mobil-Telefons.
    »Ich hab' das nachgesehen«, sagte Konietzka. »Der Anschluß ist in Bayreuth registriert. Und der Name ist Martin Hilper.«
    Do nickte. Bayreuth? dachte sie. War da nicht irgend etwas mit Bayreuth? Ja, der halbverbrannte

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