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Der Herr der zerstörten Seelen

Der Herr der zerstörten Seelen

Titel: Der Herr der zerstörten Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gesäusel, das da auf diesem sonderbaren Karton stand. »Die Vorwahl ist Bayreuth«, hatte Timo gesagt.
    Bayreuth? dachte Do. Auch das noch …
    Wie lange sie so saß – sie wußte es nicht. Sie hatte ziemliche Mühe mit ihrem Lächeln, als sich Tommi Reineckes bekümmertes Knautschgesicht in ihr Blickfeld schob. Er beobachtete sie mit diesem ewig hellwachen blauen Reporterblick, und nun wußte sie, was sie brauchte: Jemanden, bei dem sie sich ausweinen konnte. Tommi taugte genauso wenig dazu wie Jan. Eine Negermami, dachte Do verzweifelt, irgendeinen weichen, warmen, breiten Mutterbusen … Nur – woher nehmen?
    »Ist schon alles gelaufen. Die ließen sich abführen wie die Kälber vom Metzger. Und gestern noch zogen sie irgendwo bei Rosenheim die große Schau ab. Haben einen ganzen Elektrogroßhandel hochgenommen. Das sind die Typen, die mit dem Lieferwagen direkt durch die Schaufensterscheibe ins Geschäft fahren, weil es sich so schneller einräumen läßt.«
    Tommi sagte noch mehr. Do verstand kaum etwas.
    »Eine ›Heute-Story‹ jedenfalls wird das nicht. Diese Ostganoven sind Peanuts. Vielleicht krieg ich sie woanders los. He, Do? Was ist denn? Hörst du überhaupt zu?«
    Sie hob den Kopf und lächelte. Ruhig, dachte sie, cool bleiben, wie immer … Sie dachte es, als sie die Tränen in den Augen fühlte. Sie machte sich nicht die Mühe, sie abzuwischen.
    »Was ist passiert, Do?«
    »Nichts … Das heißt – vielleicht bin ich bald den Job bei ›Heute‹ los. Oder steige selber aus. Aber das ist noch das wenigste.«
    »Red doch mal einen vernünftigen Satz. Versuch's wenigstens …«
    »Meine Tochter ist abgehauen. Ich muß sie finden. Und du, Tommi, du mußt mir dabei helfen …«
    Die Elisabethstraße war eine jener Schwabinger Straßen, die der Krieg besonders hart getroffen hatte. Auch die Nummer 106 hatte während der amerikanischen Bombenangriffe 1944 einen Treffer abbekommen. Der Dachstuhl war ausgebrannt. Tommi schaffte es, ihn auf seine Kosten herrichten und diesen Eigenaufwand sogar im Katasteramt eintragen zu lassen. So blieb er unkündbar. »Meine einzige wirkliche Lebensleistung«, wie er zu sagen pflegte, was natürlich nicht stimmte, und der Besucher, der kurzatmig vor der roten Tür ankam, auf die ein schräges weißes ›Tommi‹ geschmiert war, kapierte es auch sofort.
    Man betrat die loftartige riesige Wohnung durch eine Art Bilder-Galerie. Da hing nun – von Burundi bis Vietnam, von kolumbianischen Kinderkillern bis zu den minderjährigen Helden der chinesischen Kulturrevolution in Schwarzweiß vergrößert – was Tommi Reinecke in seinen großen Tagen als Krisenfotograf berühmt gemacht hatte: Fotogramme von Jahrzehnten Krieg, Verwüstung, menschlicher Dummheit und unmenschlichem Elend, von Keystone und anderen Spitzenagenturen in Auftrag gegeben und damals in den großen internationalen Magazinen veröffentlicht. Mochte Tommi Reinecke in dieser ignoranten Stadt schon halb vergessen sein – wer die Tür zu seinem Studio öffnete, wußte, mit wem er es zu tun hatte.
    »Gib endlich Ruhe!« Er scheuchte Schopi, seinen schwarzen Kater, von den Jeans, die auf einem Sessel lagen. »Wirst schon nicht verhungern, Alter, verdammt noch mal. Kriegst ja was.«
    Eigentlich hieß Schopi Schopenhauer. Aber der Name hatte sich im täglichen Gebrauch nun doch als unpraktisch erwiesen. »Ich habe eine Top-Tomatensuppe«, verkündete Tommi. »Außerdem hätte ich Bohnen.«
    Do wehrte ab. »Mein Gott, Tommi. Mach dir bloß keine Mühe.«
    »Bin gleich wieder da. Die Freßmaschine hier muß bedient werden.«
    »Was macht er, wenn du nicht zu Hause bist?«
    »Der Schopi? Mensch, der lebt im Paradies. Hat da unten 'nen Hof voller Weiber und keine Konkurrenz. Allerdings, ob das das Paradies ist …«
    Do ließ sich in den Sessel vor dem Fernsehgerät fallen. Er war wie alles in diesem Raum überdimensioniert. Sie schloß die Augen, und der alte Zustand wollte sich wieder einstellen: der Rücken schwer wie Blei, die Glieder gleichfalls. Doch der Kopf ließ sich nicht anhalten, machte weiter und weiter, drehte sein eigenes Rad, als triebe ihn eine fremde, feindliche, heftige Energie.
    Es war, als habe Do sich aus ihrem Körper gelöst und betrachte diesen Haufen Elend in Tommis Sessel. Alles, was sie seit gestern erlebt hatte, bis hin zu Tommi Reineckes Tomatensuppe, war zu abwegig, zu irrsinnig, um es einordnen zu können.
    »Wie war das vorhin?« vernahm sie Tommis Stimme durch die geöffnete Küchentür.

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