Der Herr der zerstörten Seelen
Taschen seines gefütterten Gabardinemantels vergraben. Das Gesicht schimmerte leicht violett. Die Augen waren unsicher. Irgend etwas hatte sich verändert, es war, als sei die Luft noch schwerer geworden, als stünden Fragen im Raum, die niemand beantworten konnte …
Perauer öffnete die Hintertür. Ein Gartenweg, auch er mit Backsteinen eingefaßt, knirschender Kies … Rechts vom Weg wuchsen ein paar Rosenstöcke, die vor nicht allzu langer Zeit beschnitten worden sein mußten. Dann Brombeersträucher, ein braun verfilzter, feucht glänzender Brombeerwall.
Tommi fluchte. Dann sah er genau hin: Rechter Hand gab es eine Art Lücke. Abgebrochene Zweige – nein, nicht alle gebrochen, manche schienen zu einer Art Schneise niedergetreten zu sein. Tommi ging hin und bückte sich. Er war jetzt ganz wach. Die Lücke im Brombeerwall war vielleicht vier, fünf Meter tief und wirkte, als wäre sie vor kurzem niedergetrampelt worden.
Die cleveren Jungs der Spurensicherung würden jetzt jeden Zweig in die Hand nehmen, am Boden herumkratzen und Verdächtiges suchen, um dann mit einer weißlichen Flüssigkeit irgendwelche Abdrücke im Boden festzuhalten.
Aber hier gab es keine Abdrücke. Hier gab es nur verfaulte braune Blätter.
Der hintere Zaun hatte keine Eisenstäbe. Verrosteter Maschendraht hing an morschen Pfählen, doch auch in diesem Draht gab es eine interessante Variante: Direkt vor Tommi war der Draht niedergedrückt worden. Dahinter gab es einen Streifen nasser Erde mit braunen Grasbüscheln, dann einen Schotterweg und schließlich eine weiße Holzbarriere, die die Aschenbahn eines Sportplatzes einsäumte. Im Hintergrund sah man graue, einstöckige Gebäude und die flache Erhebung des Festspiel-Hügels.
Tommi war stehengeblieben, die Hände in den Taschen, und versuchte nachzudenken. Ziemlich merkwürdig das alles … Geht es dir bereits wie Do, witterst du hinter allem irgendwelche geheimnisvollen dunklen Mächte?
Aber Do hat bisher recht behalten … Und da vorne, genau an der Stelle, an der der Zaun niedergebogen wurde, erkannte Tommi Reifenspuren, ganz deutlich. Das fällt selbst dir auf, Junge. Brauchst nicht mal rüberzuklettern und dir deine Jeans zu ruinieren.
Es war nicht nur ein Fahrzeug, es mußten zwei Wagen gewesen sein, die hier gestanden hatten. Und sie hatten in Richtung Umgehungsstraße geparkt. Die Reifen auf der Fahrerseite hatten keine Spuren hinterlassen. Sie standen auf Schotter. Doch das rechte Reifenpaar! So neu war der Abdruck, daß selbst von Tommis Platz aus die Profilmarkierungen in der nassen Erde zu erkennen waren. Und die beiden Halbbögen, die entstanden, als die Fahrer die Wagen zu dem Schotterweg steuerten.
Tommi wollte sich gerade abwenden, als er noch eine Entdeckung machte.
Zuvor hatte er das Stückchen Helligkeit dort zwischen den Drahtmaschen für einen Fetzen aufgeweichten Papiers gehalten. Doch nun ging er näher und streckte die Hand aus. Stoff … Tommi zupfte daran. Ein herausgerissenes Dreieck, Baumwollmaterial, vielleicht aus einem Hemd, vielleicht einer Jacke? Doch es war nicht der Stoffetzen allein. Weiter oben war noch etwas anders, kaum sichtbar … Die Jungens von der Spurensicherung würden bei einer solchen Entdeckung begeisterte Pfiffe ausstoßen und nach der Kamera rufen … Tommi hielt es nun in der Hand, dünn, fein, zusammengeklebt und nicht länger als drei Zentimeter: Haar. Menschenhaar. Selbst der Hautrest, an dem es klebte, war zu erkennen.
Tommi kämpfte sich ein zweites Mal durch die Dornen und achtete darauf, daß sie sich nicht in seiner neuen Lederjacke verfingen.
Als er die Hintertür zum Haus öffnete, stand Do im Raum. Sie blickten sich an.
»Wo warst du denn?« fragte sie.
»Hab mich ein bißchen umgesehen.«
»Und?«
Tommi zuckte mit den Schultern und richtete den Blick auf Perauer. »Wann haben Sie Martin zum letzten Mal gesehen, Herr Perauer? Weihnachten?«
»Ja. Am zweiten Weihnachtsfeiertag. Dann nicht mehr. Aber er hat angerufen. Bei meiner Frau. Gestern.«
»Von hier?«
»Von wo sonst?«
»Das wissen Sie genau?«
»Genau? Das weiß man doch nicht genau, wenn einer telefoniert. Er hat es wenigstens gesagt.«
Tommi streifte sich ein Blatt von den Sohlen. »Also ich würde jetzt auch mal telefonieren«, sagte er. »Möglichst bald.«
»Was ist denn, Tommi?« fragte Do.
»Wenn ich das wüßte! Aber irgend etwas ist sehr merkwürdig. Der hintere Zaun ist niedergebogen. Ich hab' da 'ne ganze Reihe frischer Spuren im
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