Der Herr der zerstörten Seelen
die Zeit nicht aus dem Bett …
Huren, dachte er, die verdammten Huren!
Das werden sie dir bezahlen! Umbringen lasse ich die … Du wirst jemanden damit beauftragen. Müll wird auch beseitigt … Der Müll, der die Welt verpestet, muß verschwinden …
Doch wie ist das mit Krebs? Krebs wächst langsam … Dann war es eine andere … Die Taiwanesin vielleicht, die dir Walcott damals in L. A. …
Und dann dachte Legrand gar nichts mehr. Was blieb, war nur noch Angst.
Guido Spoerri, der Angestellte aus Legrands Genfer Büro, der während der Aufenthalte des Chefs an Bord den Kommunikationsdienst erledigte, warf am nächsten Morgen um sieben Uhr die beiden Piloten von Legrands ›Mystère‹ aus ihren Hotelbetten in Nizza, damit sie den sofortigen Abflug vorbereiteten. Punkt acht Uhr hatte Legrand Professor Meunier am Telefon. Er erhielt die Zusage, daß Professor Meunier Monsieur Legrand selbstredend sofort nach dessen Eintreffen in Genf in seiner Praxis empfangen werde.
Drei Stunden später bereits ließ Legrand das Taxi, das ihn vom Flughafen in die Stadt gebracht hatte, vor einem großen, noblen Jugendstilhaus in der Rue du Rhone stoppen. Clara, Meuniers Krankenschwester für die Privatpatienten, geleitete ihn sofort ins Allerheiligste. Und da stand nun Meunier, breitete die Arme aus, rief: »Paul!« – und Legrand hatte bei seinem Anblick das Gefühl eines Schiffbrüchigen, der endlich das rettende Ufer sieht.
»Was war denn das nun wieder für ein Anruf, Paul? Und zu dieser unchristlichen Zeit? Und der größte Witz: Ich wollte Sie heute auch schon anrufen. Auf diese Weise erfuhr ich wenigstens, daß Sie in Saint-Tropez sind. Na, und jetzt, jetzt stehen Sie leibhaftig vor mir. Unglaublich! – Schon ein hübsches Spielzeug so ein Privatflieger, nicht?«
Legrand nickte. Er schaffte nicht einmal ein Lächeln. Professor Theo Meunier war ein Ein-Meter-neunzig-Klotz mit einem kahlgeschorenen Rundschädel und einem ewig freundlichen Grinsen. Er hatte Legrands Mutter zu Tode gepflegt. Schon damals war Legrand froh um den Optimismus gewesen, den Meunier unablässig ausstrahlte. Jetzt empfand er ihn als Gottesgeschenk.
»Diese Liege dort, Paul! – Und die Hosen müssen auch runter. Die können wir nicht brauchen, wenn wir wieder mal Tumore entdecken wollen.«
Paul Legrand lag mit geschlossenen Augen auf dem harten Plastiküberzug. Die Hände des Arztes fühlte er kaum. Wie denn? Er war in seine Angst zurückgesackt, in das große schwarze Loch, hockte wieder zitternd, die Arme um die Knie geschlungen, unter der Dusche.
Meunier gab irgendeinen undefinierbaren Ton von sich. Zuerst glaubte Legrand, sich getäuscht zu haben. Doch es war so: Meunier kicherte! – Und jetzt lachte er, lachte tatsächlich aus vollem Hals. Lachend schlug er Legrand auf die Schenkel.
»Krebsverdacht haben Sie gesagt? Das ist wirklich gut, alter Junge – Ach, was wären wir Ärzte ohne unsere Hypochonder? Verarmen würden wir, verarmen …«
Und lachte schon wieder.
»Wissen Sie, was Sie haben?« rief Professor Meunier. »Soll ich Ihnen sagen, was Sie da entdeckten? – Zwei Talgzysten, noch reichlich klein. Die lassen wir noch ein bißchen weiterwachsen. Und wenn sie Sie dann stören, schneidet sie Ihnen jeder Idiot von Assistent in zehn Minuten raus.«
Eine Tonne, zehn Tonnen, ein Berg fiel von Paul Legrands Brust. Seine Ohren waren knallrot, das Gesicht blaß. O Gott! dachte er. O Gott, Gott, Gott …
»Sie haben sich die Hosen schief zugeknöpft.«
Laß ihn lachen. Soll er! Warum umarmst du ihn nicht? – Paul Legrand unterließ es. Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Augen.
»So … Nachdem wir den Krebs besiegt haben, Paul, wird es Sie vermutlich interessieren, wozu ich Sie heute abend einladen wollte. Ich gebe eine kleine Soiree. Dabei werden Sie einen jungen Mann kennenlernen, der für Sie wichtig sein könnte.«
»Ach ja?«
»Ja. In mancher Hinsicht, Paul, wirklich. Sie kommen doch?«
Legrand nickte. Meunier hätte ihm auf seiner verdammten Soiree eine bucklige Pianistin, einen russischen Dichter oder einen Elefanten präsentieren können, er hätte zu allem genickt. Er war in der seltenen Verfassung, die ganze Welt umarmen zu können. Einen Hellseher sollte er bei Meunier kennenlernen? Wieso denn nicht? War doch mal etwas anderes.
»Eine nachweisbare paranormale Begabung«, sagte Meunier gerade. »Er hat dieses grauenhafte Attentat auf den Bahnhof von Bologna vorausgesehen, Sie erinnern sich
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