Der Herr der zerstörten Seelen
und sein Herz schlug hart, schnell und so laut. Was war mit ihm? Und was sagte der Junge noch?
»Sie haben ein ganz anderes Problem, Sir. Man könnte es mit einem einzigen Wort ausdrücken: Macht!«
Legrand lehnte den Kopf gegen den Sesselrücken und versuchte sich zu konzentrieren. Vielleicht hat der Junge da recht? Sicher hat er recht …
»Sie sind nur auf dem falschen Weg.«
»Und … was meinen Sie damit?« Pauls Stimme war belegt.
»Die Frage lautet nicht, wie bekomme ich Macht, Sir. Wichtig allein ist, warum brauche ich sie? Und zu was?«
Legrand nickte. Diese schrecklichen dunklen Augen … Sie ließen seinen Blick nicht los …
»Wenn Macht mit Kenntnis und Erleuchtung verbunden ist, Legrand«, sagte Arjun, »dann wird sie zu Energie, einer Energie, die nicht nur Dinge, sondern auch Zustände verändern kann. Ohne diese Energie ist Macht nichts als ein Spielchen für Neurotiker. Verstehen Sie das? Drücke ich mich klar aus?«
»O ja.«
Es war ganz still im Raum. Nur eine Fliege, die Tanners Spray-Attacken entgangen war, summte am Fenster. »Ich sprach von Energie, Legrand, die, ähnlich wie die universelle, kosmische Energie, alles durchflutet, neue Schwerpunkte, neue Anziehungskräfte, ja eine ganz neue Welt erschaffen kann.«
»Ich glaube zu verstehen«, flüsterte Legrand.
Der Junge nickte zufrieden. »Diese Monopoly-Spielchen, in die Sie bisher so verliebt waren, bringen nicht nur nichts, sie sind auch tödlich für manche und am Ende für Sie selbst.«
Schweigen, Stille.
»Um dies alles zu verstehen, Sir, reichen jedoch nicht die gute Absicht oder gar der Wille.« Diesmal klang das ›Sir‹ ironisch. »Es bedarf – nun, nennen wir es mal – eines bestimmten Trainings.«
Arjun Williams legte seine Hände auf den Tisch. Es waren lange schmale Hände mit langen feingliedrigen Fingern.
Legrand betrachtete sie fasziniert, doch er spürte wieder diesen Blick; man konnte ihm nicht entgehen, und so nahm er den Kopf hoch.
»In dieser Nacht, Legrand, hatte ich eine, nun, nennen wir es eine Art Vision …«
Legrand erschauerte.
»Ich sah, wie sehr wir beide uns brauchen. Ich sah, wie wir uns ergänzen, was wiederum bedeutet, daß auch in Ihnen die Berufung lebt … Sie beherrschen Tätigkeiten und Dinge, die ich nicht weiß, und umgekehrt gilt das wohl ebenso … Wie auch immer, ich sah Großes werden. Ich sah die Änderungen, die wir zustande bringen, den Wandel, und ich sah auch das Unglück – aber ich sah das Ziel …«
Arjun sprach weiter, und Legrand hatte seiner Stimme nichts entgegenzusetzen. Es war ein Traum, und alles, was Arjun sagte, kam Legrand so vor, als habe er es längst geträumt und längst erwartet, daß es zu Worten werde.
»Legrand! Wenn Sie es wünschen, fliegen wir zu mir nach Hause, nach Utah, in die Berge, und dort rede ich nicht – dort zeige ich Ihnen, was ich meine.«
Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte Legrand diesen Abend bei der Arbeit in seinem Büro oder bei einem Gespräch mit Geschäftsfreunden verbracht. Doch er blieb in seiner einsamen, großen Villa am Quai Gustave und blickte hinaus auf die dunklen Bäume des Parks, lauschte noch immer der Stimme, erwachte noch immer nicht, überließ sich diesem Wirbel von Plänen, Gedanken und Vorstellungen, den Arjun in ihm ausgelöst hatte. Dazu nahm er noch einige Whiskys, vor allem aber die Tabletten aus Annemasse, und als sich dann gegen elf Uhr in dieser Nacht aus den schwarzen Wolken über dem See die ersten Blitze lösten und der Sturm dort draußen dem Sturm und dem Aufruhr in Legrands Innerem zu entsprechen schien, floß alles zusammen, und er erkannte: Das ist sie! Das ist die Energie! Davon hat Arjun gesprochen! Die Energie, die Kraft, die ab jetzt alles verändern wird …
In Begleitung von Arjun Williams flog Legrand drei Tage später in die USA. Für sein Genfer Büro war er ›geschäftlich‹ unterwegs.
Als er dann zurückkam, Mitte September 1982, schien noch alles beim alten. Nur engeren Mitarbeitern, Sekretärinnen, Abteilungsleitern und Anwälten fiel eine gewisse Veränderung in Legrands Verhalten auf: Manchmal, mitten in einer wichtigen Sitzung, wirkte er abwesend, in sich selbst versunken, als ginge ihn dies alles nichts an. Oder er unterbrach sich mitten in einem Satz, stand auf und ging in den Garten, um dort ganz allein auf und ab zu gehen, wobei sich seine Lippen bewegten, als unterhalte er sich mit sich selbst. Nun, reiche, schwerreiche Männer haben ihre Marotten. Und bei
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