Der Herr der zerstörten Seelen
Sie, die Leute sind nie auffällig geworden. Und auf dem ganzen Sozialsektor haben sie eine Menge vernünftiger Arbeit geleistet. Außerdem, liebe Frau Folkert, haben wir ja noch den Grundgesetz-Artikel vier. Leider. Aber ob Justiz oder Parteien, an diesen Artikel und damit an die Sekten will keiner ran. Sie wissen doch … Wenn nicht, werden Sie's bald erfahren …« Und ob sie wußte. Jeder war nun einmal frei, zu glauben, was er wollte – oder was ihm eingetrichtert wurde.
Doch frei? Wenn sie an Kati dachte, Kati hinter dem von Scheinwerfern angestrahlten Stahlzaun von Schönberg, wurde der Begriff Freiheit für Do zu einem grausamen, gemeinen Witz.
Kati … Wie schon der Name schmerzte!
Wieso eigentlich knallte sie nicht den ganzen Recherchen-Unterlagen-Kram in den Papierkorb, fuhr hinaus nach Schönberg und versuchte es noch einmal? Doch dieses Redaktionsproblem konnte Do nicht länger vor sich herschieben. Einen Grippeanfall hatte sie erfunden, unerträgliche Kopfschmerzen vorgeschützt, außerdem sei noch Material zu ordnen. Aber das zog jetzt nicht mehr. Eines wurde Do an diesem Donnerstagmorgen klar: Falls du nicht sofort handelst, kannst du zu allem auch noch deinen Job vergessen …
Sie ging zum Büroanbau, um die Papiere zu ordnen. Sie wollte gerade die Hand nach dem Lichtschalter ausstrecken, als das Telefon summte. Vielleicht Jan?
Sie hob ab.
Es war eine Männerstimme. Sie gehörte nicht Jan. »Frau Folkert?«
»Ja.«
»Frau Folkert, zunächst eine kleine Vorbemerkung, wenn Sie gestatten: Dieses Gespräch wird von einem Handy aus dem Ausland geführt. Falls Sie also eine Fangschaltung besitzen, bei Journalisten weiß man so was ja nie, es wäre zwecklos.«
»Was soll der Quatsch? Also hören Sie mal …«
»Es sind wohl Sie, Frau Folkert, die besser zuhört. Und das in Ihrem und im Interesse Ihrer Tochter.«
Sie spürte Kälte. Sie spürte sie bis in die Fingerspitzen. »Was ist mit …«
»Ich sagte doch, Sie sollen zuhören.«
Ohne jede Emotion, der Saukerl! Gelassen, sachlich, die Stimme eines Roboters.
»Frau Folkert: Sie waren in der letzten Woche zusammen mit einem Herrn in Bayreuth.«
»Und?«
»Sie haben gegen fünf Uhr einen gewissen Herrn Perauer besucht, nicht wahr?«
»Wenn Sie's wissen, wieso fragen Sie, Herrgott noch mal?« Auch das brachte ihn nicht aus der Ruhe.
»Sie haben sich mit Perauer zusammen in das Haus Amselweg 7 begeben, das Martin Hilper, dem Stiefsohn von Herrn Perauer, gehört, und sich dann etwa zwanzig Minuten in diesem Haus aufgehalten. Sie haben sich dabei, wir nehmen an, ohne Herrn Perauers Wissen, gewisse Dinge, und zwar Informationsträger, angeeignet, die Ihnen nicht gehören. Sie haben damit, und das muß Ihnen als Journalistin klar sein, ein ernstes Delikt begangen. Wir erwarten …«
»Wir? Und wer ist wir?«
»Das tut im Moment nichts zur Sache.«
»Die Kulturstiftung Schönberg?«
»Ich sagte doch, es tut nichts zur Sache. Sie können aber davon ausgehen, daß wir sowohl über die Mittel als auch über die Methoden verfügen, dafür zu sorgen, daß Sie unserer Aufforderung Folge leisten. Und zwar bedingungslos, Frau Folkert.«
»Welcher Aufforderung?«
»Richtig. Jetzt kommen wir zum Punkt: Was Sie gestohlen haben, Frau Folkert, das werden Sie …«
»Gestohlen? Ich habe nichts gestohlen! Wie kommen Sie zu einer derart unverschämten Unterstellung?«
»Was Sie gestohlen haben«, fuhr die Stimme unbeirrt fort, »werden Sie zurückgeben. Sie erfahren dazu jetzt das Datum und den Zeitpunkt, bis wann das spätestens zu geschehen hat. Und eine Adresse. Haben Sie einen Bleistift zur Hand?« Sie zog einen Notizblock heran. Der Bleistift zitterte – und wurde wieder ruhig. Die Mitschnitt-Taste war längst gedrückt. Das Gespräch wurde aufgezeichnet. Vielleicht liefert dieser Kerl einen Anhaltspunkt, eine Adresse?
»Sie können das ruhig nachprüfen«, sagte der Anrufer, nachdem er Do Straße und Hausnummer genannt hatte. »Bei Anders, Liebherr und Partner handelt es sich um eine der größten Wirtschaftsanwaltskanzleien Bayerns. Die beschäftigen sechzig Leute. Wer für uns dort den Kontakt besorgt und unsere Sendung herausfischt, werden Sie nie ermitteln.«
»Hören Sie mal …«
»Nun der Zeitpunkt: Donnerstag, zwanzig Uhr. Markieren Sie das Paket groß und deutlich mit Ihrem Absender und halten Sie sich penibel an alles, was ich Ihnen sagte, Frau Folkert. Das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann. Überlegen Sie sich keine
Weitere Kostenlose Bücher