Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Frau zurück. Wer ist in diesem Fall der Erzähler, der berichtet, was er zu ihr sagte? Ungeachtet all dieser Einwände fand ich die Geschichte nicht schlecht.
Doch Professor Ehrman geht noch einen Schritt weiter. Er stellt einige Fragen, die auf der Hand liegen. Wenn die Frau »im Ehebruch ergriffen«, also in flagranti erwischt wurde, wo ist dann ihr Partner? Nach dem im 3. Buch Mose dargelegten mosaischen Gesetz müssen beide gesteinigt werden. Plötzlich wurde mir bewusst, dass die Geschichte ihren Charme aus der zitternden verlassenen jungen Frau bezieht, die, von einer Horde sexuell ausgehungerter Fanatiker beschimpft und fortgezerrt, endlich einem freundlichen Menschen begegnet. Zu der Schrift im Staub führt Ehrman eine alte Tradition an, nach der Jesus die bekannten Vergehen der übrigen Anwesenden aufschrieb, woraufhin diese rot anliefen, verlegen von einem Fuß auf den anderen traten und dann schnell das Weite suchten. Mir gefällt diese Vorstellung, obwohl sie ein Maß an weltlicher Neugier und Lüsternheit – und Weitblick – aufseiten Jesu voraussetzt, das wiederum nicht ganz unproblematisch ist.
Über alldem liegt, wie Ehrman einräumt, ein schockierender Tatbestand:
Die Geschichte fehlt in den ältesten und am besten erhaltenen Manuskripten des Johannesevangeliums; stilistisch unterscheidet sie sich vom Rest des Evangeliums (einschließlich der Geschichten unmittelbar davor und danach), und es kommen zahlreiche Wörter und Wendungen vor, die dem Evangelium ansonsten fremd sind. Das lässt nur einen Schluss zu: Die Passage gehörte ursprünglich nicht zum Evangelium. [FUSSNOTE33]
Wieder berufe ich mich auf eine Quelle, in der die Beweise sozusagen zum eigenen Schaden erbracht werden, nämlich von jemandem, dessen wissenschaftliche und intellektuelle Reise ursprünglich überhaupt nicht darauf abzielte, die Heilige Schrift in Zweifel zu ziehen. Die Beweise für eine Konsistenz, Authentizität oder »Inspiration« der Bibel bröckeln schon seit geraumer Zeit, und da die wissenschaftlichen Fortschritte die Lücken und Brüche immer deutlicher hervortreten lassen, ist von dieser Seite keine »Offenbarung« zu erwarten. So sollen denn die Vertreter und Verfechter der Religion allein auf ihren Glauben vertrauen. Und mögen sie so mutig sein, dies auch einzugestehen.
Kapitel neun:
Der Koran ist jüdischen und christlichen Mythen entlehnt
Vor dem Hintergrund, dass die Taten und »Worte« Moses, Abrahams und Jesu nicht nur jeglicher Konsistenz und Grundlage, sondern stellenweise auch jeglicher Moral entbehren, muss man sich mit der gleichen Forschungshaltung der, wie viele meinen, letzten Offenbarung zuwenden: der des Propheten Mohammed und seinem Koran (»Lesung«). Auch hier ist der Engel – oder Erzengel – Gabriel am Werk und diktiert einem mehr oder weniger ungebildeten Menschen Suren, also Verse. Auch hier begegnen uns Geschichten von einer Art Sintflut und das Verbot der Götzenverehrung. Auch hier wird zuerst den Juden die Botschaft übermittelt, sind sie die Ersten, die sie hören und verwerfen. Und auch hier finden wir eine umfangreiche Sammlung zweifelhafter Taten und Worte des Propheten, die unter dem Namen Hadith bekannt ist.
Der Islam ist gleichzeitig die interessanteste und die am wenigsten interessante der monotheistischen Weltreligionen. Er baut auf seinen primitiven jüdischen und christlichen Vorgängern auf, übernimmt hier und da den einen oder anderen Brocken und steht und fällt daher mit diesen Versatzstücken. Auch seine Stiftungsgeschichte bewegt sich in einem erstaunlich kleinen örtlichen Rahmen und berichtet von überaus nervtötenden Kleinkriegen. Keine der Originalhandschriften, sofern vorhanden, lässt sich irgendwelchen hebräischen, griechischen oder lateinischen Texten gegenüberstellen. Die Tradition verläuft ganz überwiegend mündlich und ausschließlich auf Arabisch. Viele Islamvertreter sind sogar der Ansicht, der Koran sei nur in dieser Sprache zu verstehen, die ihrerseits eine Unzahl idiomatischer und regionaler Abweichungen aufweist. Aus dieser Behauptung müsste die absurde und potenziell gefährliche Folgerung gezogen werden, dass Gott einsprachig ist. Vor mir liegt das von zwei überaus salbungsvollen britischen Muslimen verfasste Buch Introducing Muhammad, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem Westen eine freundliche Version des Islam zu präsentieren. So anbiedernd und selektiv ihr Text auch sein mag, so betonen die Autoren dennoch: »Im Sinne des
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