Der Herr vom Rabengipfel
Gleichgewicht und stürzte zu Boden:
Sie wußte, daß sie die Schläge, die sie mit ihrem Spott herausgefordert hatte, auch einstecken mußte. Doch sie handelte, bevor sie noch denken konnte. Sie sprang auf die Füße und hatte blitzschnell Lettas dicke Zöpfe gepackt, wand sie mehrmals um ihren Handrücken und hörte erst auf damit, als das Mädchen spitze Schreie ausstieß.
»Hör zu, du verwöhntes Balg«, fauchte Laren ihr ins Gesicht. »Tu das nie wieder. Wenn du es noch einmal wagst, schlage ich dir deine hübschen Zähne aus, einen nach dem andern.«
Dann ließ sie die Zöpfe los und versetzte Letta einen Stoß, der sie rückwärts in Merriks Arme taumeln ließ. Letta erkannte, in wessen Arme sie gelandet war, brach in Tränen aus, wandte sich um und schluchzte herzzerreißend an seiner Brust.
Merrik blickte über ihren Kopf hinweg zu Laren, auf deren Wange sich Lettas Fingermale abzeichneten. Ihre Augen funkelten vor Zorn.
Olaf Thoragasson stürmte wie ein wütender Stier heran.
Erik rieb sich die Hände. Merrik drehte Letta um und übergab sie ihrem jüngeren Bruder, jenem, der Laren so unschuldig die Brosche seiner Mutter geschenkt hatte.
Merrik trat auf Laren zu, packte ihren Arm und zog sie unsanft zu sich heran.
»Sie ist meine Sklavin«, sagte er barsch, sowohl an sie, als auch an die Umstehenden gerichtet. »Ich kümmere mich um ihre Bestrafung.«
Erik spottete: »Und wie sieht diese Bestrafung aus, Bruder?«
»Wäre sie bei Kräften, würde ich sie auspeitschen. Aber das würde sie nicht überleben. Sie wird die nächsten drei Tage kochen. Sarla, sorge dafür, daß sie dir gehorcht, auch wenn ich nicht in der Nähe bin!«
Sarla grinste übers ganze Gesicht und schüttelte drohend die Faust. »Ja Merrik. Ich schlag ihr einen Eisentopf über den Schädel, wenn sie nicht pariert.«
»Keine Frechheiten, Sarla!« Erik ging mit hochrotem Kopf auf seine Frau los, die Hand zur Faust geballt.
»Sie war nicht frech, Bruder«, beschwichtigte Merrik und zog Laren mit sich, während er sich Erik in den Weg stellte. »Das war doch nur Spaß.«
»Es steht ihr nicht zu, so mit dir zu sprechen.«
»Wenn ich etwas daran auszusetzen hätte, würde ich es ihr selber sagen. Beruhige dich, Erik.«
»Das geht dich nichts an.« Erik schob seinen Bruder zur Seite, trat auf Sarla zu und gab ihr eine schallende Ohrfeige. »Halte in Zukunft deine Zunge besser im Zaum!« Sarla taumelte zurück und hielt sich die Wange. Erik wandte sich an Merrik. »So muß man mit Frauen umgehen. Ich dulde keine Unverschämtheiten.«
Merrik ballte die Fäuste. Laren lief zu Sarla, doch Erik stieß sie weg. »Halte dich von ihr fern, Sklavin, sonst zeige ich dir, wer hier das Sagen hat.«
Tränen liefen über Sarlas Gesicht, die umstehenden Männer und Frauen wagten keinen Widerspruch. Sogar die Kinder verstummten und blickten ängstlich zu ihren Müttern auf.
Dann kreischte Letta in die Stille hinein: »Sie sagte, sie schlägt mir alle Zähne aus! Einen nach dem andern! Peitsche sie aus, Merrik. Sie hat es verdient.«
Merrik mußte sich das Lachen verbeißen. Gleichzeitig unterdrückte er seine Wut gegen Erik. Es war eine hilflose Wut, denn er hatte kein Recht, seinem Bruder in dessen Haus zu widersprechen. In diesem Augenblick wurde ihm endgültig klar, daß er ein neues Heim finden mußte, bevor er sich mit Erik ernsthaft überwarf.
Er wandte sich an Letta: »Du bist ihr nichts schuldig geblieben, Letta. Sie ist ein Skalde und versteht es, Leute mit Worten zu bekämpfen. Laß es gut sein!«
Er blickte in die Runde seiner Männer. Deglin machte ein enttäuschtes Gesicht, weil sein Herr die Sklavin nicht auf der Stelle auspeitschte. Der Alte Firren, über eine Schnitzerei gebeugt, ließ sich nicht bei der Arbeit stören. Cleve war leichenblaß geworden. Es kostete ihn sichtliche Mühe, die Ruhe zu bewahren. Die Kinder, darunter auch Taby, hatten in der Ecke wieder zu spielen begonnen. Thoragassons Männer schauten verlegen zur Seite, als sei Letta nicht im Raum. Allem Anschein nach brachten sie der verwöhnten Tochter Thoragassons keine große Zuneigung entgegen. Sarla hielt den Kopf gesenkt, von der Gewalttätigkeit ihres Gemahls tief getroffen und gedemütigt.
Letta öffnete den Mund zu einer Entgegnung, doch Merrik ergriff vor ihr das Wort: »Bis es Zeit für sie ist, über dem Herdfeuer zu schwitzen, arbeitet sie mit mir auf dem Feld.« Damit zerrte er Laren ins Freie.
Der Boden war noch naß, doch die Sonne hatte
Weitere Kostenlose Bücher