Der Herzog und seine geliebte Feindin
gekommen, um um eine Spende für den Arbeiter … Ach, zur Hölle. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern … ach doch. Der Arbeitergesundheitsverein.“
Es gab nur wenige Geheimnisse, die Robert vor Oliver hatte. Letzte Nacht hatte er Miss Pursling ihm gegenüber nicht erwähnt. Zum einen war es ihm nicht wichtig erschienen, und zum anderen, wenn es ein Geheimnis dabei gab, dann war es ihres und nicht seins. Das hier jedoch … Das hier berührte eines der wenigen Geheimnisse, in das er Oliver wohl oder übel nicht einweihen konnte.
„Verstehe. Sie sind gekommen, um dich zu bestaunen.“ Ein Anflug von Belustigung lag in der Stimme des anderen Mannes, als er zu ihm kam und sich neben ihn stellte. Er blickte ebenfalls aus dem Fenster, runzelte die Stirn, als er nichts Besonders entdecken konnte.
„Nein, eigentlich nicht.“ Auf der anderen Straßenseite traten Miss Pursling und ihre Freundin unter das Vordach, die Köpfe zusammengesteckt, sodass sie sich an den Schultern berührten. Der Regen rann von dem Metall, das sie vor dem Regen schützte, ergoss sich in die Schmutzwasserpfützen auf dem Gehsteig. Oliver dachte, sie seien hergekommen, um mit den Bewohnern der Stadt über eine Reform des Wahlrechts zu sprechen. Miss Pursling hatte gedroht, die Wahrheit über Roberts andere Aktivitäten hier zu enthüllen, und das war wesentlich schlimmer als angestaunt zu werden. Andererseits …
Robert wandte sich an den Mann neben ihm. „Oliver“, sagte er. „Wie bist zu überhaupt zu der Ansicht gekommen, dass ich ein Mensch bin, der deiner Freundschaft würdig ist?“
Oliver nahm seine Brille ab und putzte sie mit seinem Taschentuch. „Was bringt dich auf die Idee, dem wäre so?“
„Es ist mir ernst. Bis ich dich kennengelernt habe, hat niemand, der mich angesehen hat, den Menschen in mir gesehen. Nur den Sohn des Herzogs.“ Und seit Oliver hatte das auch niemand mehr getan. Sie hatten eine Stimme im Oberhaus gesehen, ein vom Großvater geerbtes Vermögen. Sie hatten die Möglichkeiten gesehen, die er ihnen bot.
Miss Pursling verschwand um die Straßenecke, und Robert schüttelte den Kopf. Sie war ein Problem – wenn auch zugegebenermaßen kein gänzlich unerfreuliches –, mit dem er sich ein andermal auseinandersetzen musste.
Oliver wischte ein letztes Mal seine Brillengläser ab, sah ihn dann wieder an. „Nun“, sagte er. „Vielleicht weil ich genau wusste, wie viel es wert ist, der Sohn eines Herzogs zu sein. Du warst nicht der Einzige.“
„Aber als wir uns das erste Mal begegnet sind, war ich ein Esel.“
„Stimmt“, sagte Oliver.
Ihre Freundschaft – oder was auch immer es war, was sie verband – hatte keinen vielversprechenden Beginn gehabt. Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hatte er sich Oliver zum Feind gemacht, die anderen Jungen angestachelt, mit ihm zu raufen. Nicht, dass Oliver in der Hinsicht damals viel Ermunterung benötigt hätte.
Eines Tages hatte Oliver ihm dann – einfach so aus heiterem Himmel – mitgeteilt, dass sie Brüder seien. Und Roberts Welt war auf den Kopf gestellt worden.
„Warum auf einmal diese Selbstprüfung?“, wollte Oliver wissen. „Es war einfach. Wir haben gerauft – das tun Brüder ja oft. Wir haben uns Zeit gelassen, einander kennenzulernen. Und dann …“ Ein Achselzucken.
„Dein Gedächtnis ist löchrig. Wir haben uns nicht ‚Zeit gelassen, einander kennenzulernen‘“, widersprach Robert. „Ich habe die anderen Jungs dazu angestiftet, dich zu piesacken und zu plagen. Und selbst nachdem wir Frieden geschlossen hatten, fiel es mir teuflisch schwer, mit dem zurechtzukommen, was du mir gesagt hattest.“
Er hatte Monate damit zugebracht, über die unabänderlichen arithmetischen Fakten zu grübeln – er hatte neun Monate vom Alter seines Bruders abgezogen und war bei einem Datum gelandet, das nur zwei Monate nach der Hochzeit seiner eigenen Eltern lag. Sein Verstand hatte sich bemüht, einen vernünftigen Grund zu ersinnen, warum sein Vater ein uneheliches Kind gezeugt hatte und es dann ohne finanzielle Unterstützung im Stich gelassen hatte. Robert baute sich kunstvolle Erklärungen, die auf Briefen fußten, die ihren Empfänger nicht erreicht hatten, Lügen, die verbreitet wurden, Dienstboten, die zufällig ausgerechnet da entlassen worden waren …
„Ich habe nur aufgehört, Entschuldigungen für das Verhalten meines Vaters zu finden, weil ich ihn gefragt habe, was geschehen ist.“
Es ist mir egal, was sie behauptet, hatte sein
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