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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Wettkampfprogramm, das er aus den Nordnachrichten herausgerissen hatte. Unmittelbar nach der Rede des Gouverneurs sollten die Wettkämpfe be­ ginnen, den Schluß würden der 3000-Meter-Lauf, die 400 Meter Hürden und die 100 Meter Sprint bilden. Huttunens eigene Laufdisziplin waren gerade die 400 Meter Hürden gewesen, darin hatte er während des Krieges am Syväri die Divisionsmeisterschaften gewon­ nen. Er hatte fünf Tage Sonderurlaub bekommen, die er in Sortavala verbrachte. Auf diesem Ausflug waren ihm die Spikes abhanden gekommen, dafür hatte er sich eine Menge scheußliche Filzläuse eingehandelt.
    Vom Friedhof drangen Stimmen herauf, anscheinend kamen der Pastor und der Küster. Erst jetzt fiel Huttu­ nen ein, daß es Sonntag und Gottesdienstzeit war. Na, egal. Er saß hier sicher und geschützt im Glockenturm, unten in der Kirche hatte er nichts verloren. Er würde den Gesang bis nach oben hören, und zum Zeitvertreib konnte er sogar mitsingen. Sofort nach dem Gottes­ dienst würden dann als Höhepunkt des Tages die Sportwettkämpfe folgen.
    Unten in der Kirche hallten Stimmen, Türen klappten, und die Fußbodendielen knarrten. Der Küster schlug auf der Orgel ein paar Töne an. Dann war es, als stiege jemand die Treppe zum Glockenstuhl hoch. Kam der Pastor etwa herauf? Was in aller Welt hatte der im Turm zu schaffen? Huttunen stellte sich an die Treppe und lauschte. Kein Zweifel, jemand war unterwegs nach oben.
    Plötzlich begriff Huttunen – der Kirchendiener wollte natürlich die Glocken läuten!
    Die Situation war heikel. In der kleinen Kabine konnte sich Huttunen nirgends verstecken. Die Schritte auf der Treppe näherten sich. Aus dem Fenster zu springen war undenkbar.
    Es war der Knecht Launola, der die steilen Stufen he­ raufkam. Als er nichtsahnend den Glockenstuhl betre­ ten wollte, schmetterte Huttunen ihm seine Faust auf den Kopf. Launola wäre beinah rückwärts hinunterge­ stürzt, doch Huttunen konnte ihn vor dem Verderben retten. Er fing den Knecht auf und schleifte ihn unter die Glocken. Launola war bewußtlos, atmete aber gut. Das Herz schlug in seiner Brust, es war also nichts weiter passiert. Huttunen band ihm mit seinem eigenen Gürtel die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann zog er ihm das Hemd aus und band es ihm vor den Mund. Nachdem er den Mann sprech- und bewegungsunfähig gemacht hatte, richtete er ihn auf, damit er am Fenster frische Luft bekäme. Vom Morgenwind kam der Knecht auch bald wieder zu sich.
    »Du verdammter Kerl machst hier Dienst?« herrschte Huttunen ihn wütend an. Der Knecht starrte Huttunen entsetzt an und nickte.
    »Wo ist der richtige Küster?«
    Launola zeigte eine leidende Miene. »Du willst die Glocken läuten, häh?« Launola nickte wieder.
    Huttunen zog seine Taschenuhr heraus. Verflucht und zugenäht, bald würde der Gottesdienst beginnen. Es war tatsächlich höchste Zeit für die Glocken. Launola durfte das auf keinen Fall besorgen; er würde natürlich Alarm läuten, und die Gottesdienstbesucher kämen in den Turm gerannt, um nachzusehen, in welcher Gefahr der Vertreter des Küsters schwebte. Huttunen stellte fest, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als an diesem Sonntag eigenhändig die Kirchenglocken zu läuten.
    Er versuchte sich zu erinnern, in welchem Rhythmus die Glocken gewöhnlich schlugen. Langsam – mehr fiel ihm dazu nicht ein. Hatten sie einen speziellen Klang? Davon hatte er nicht die geringste Ahnung. Am besten war, sie in gleichmäßigem Abstand zu läuten.
    Huttunen griff nach dem Strang der kleineren Glocke und zog kräftig daran. Die Glocke schwang, sie kippte ein wenig nach oben und kehrte in die Ausgangsposition zurück. Huttunen zog ein zweites Mal, jetzt legte sie sich waagerecht, und als sie wieder herunterkam, dröhnte sie, daß ihm beinah das Trommelfell platzte. Mit der anderen Hand zog er am Strang der großen Glocke. Die dröhnte noch mächtiger. Huttunen riß jetzt abwech­ selnd an den Strängen, so daß es ein ganz prächtiges Geläute gab. Er fand, es gelang ihm recht gut, das got­ tesfürchtige Volk einigermaßen gebührend in die Kirche zu rufen.
    Huttunen überlegte: Wie lange mußte es läuten, bis die Sache erledigt war? Zehn Minuten oder länger? Das Läuten war enorm anstrengend, und außerdem mußte er Knecht Launola im Auge behalten, der fluchtbereit vor einer Fensteröffnung saß.
    Huttunen zerrte schwitzend an den Seilen, der mäch­ tige Klang der Glocken ließ die Kirche erdröhnen. Er konnte

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