Der Hexenturm: Roman (German Edition)
rempelten die beiden Männer an, doch anstatt sich zu entschuldigen, schimpften sie, da die beiden inmitten der Gasse verweilten und den Weg versperrten.
Servatius sah einen Mann auf sich zukommen, der mehrere Ziegen vor sich hertrieb. Lachend rief der Hirte einem anderen zu: »Wir müssen zum Römer! Gleich geht es los!«
Der Mönch stellte sich ihm in den Weg und fragte: »Was ist der Römer?« Der Hirte hörte auf zu lachen und musterte den Franziskaner misstrauisch. Dann rief er ihm zu: »Das Rathaus!«
»Was gibt es dort?«, fragte Servatius ungerührt weiter.
»Lass mich in Ruhe! Wenn du das wissen willst, dann schau selbst.« Mit diesen Worten ging der Hirte weiter und schlug dabei übellaunig einer Ziege auf den Rücken, als sie stehen blieb. Servatius und Barnabas waren nun ihrerseits neugierig geworden und folgten dem Menschenstrom.
Als sie das Ende der Limpurger Gasse erreicht hatten, öffnete sich vor ihnen ein großer Platz, auf dem das Volk dicht gedrängt beieinanderstand.
Barnabas beobachtete die Männer und Frauen, deren gute Laune einer Festtagsstimmung gleichkam. Kinder quengelten, dass sie außer Beinen nichts sehen konnten, so dass ihre Väter sie sich auf ihre Schultern setzten.
Frauen mit Körben vor den Bäuchen drängten durch die Reihen und priesen warme Backwaren an. Zur Freude der Kleinen wurden auch Zuckerstangen und kandiertes Obst verkauft, und manch verklebtes Kindergesicht strahlte in der Menge. Auf einem Karren standen mehrere Weinfässer, vor denen Männer geduldig warteten, dass man ihnen den köstlichen Rebensaft ausschenkte. Das Treiben kam einem Jahrmarkt gleich.
Servatius beachtete kaum das Geschehen um ihn herum. Seine Aufmerksamkeit galt den prächtigen Gebäuden, die den Platz umgaben. »Das muss eine reiche Stadt mit wohlhabenden Bürgern sein. Hier muss man leichtes Geld verdienen können«, murmelte er mit einem Glitzern in den Augen vor sich hin. Als er an den geöffneten Fenstern zahlreiche Menschen erblickte, die in vornehme Gewänder gekleidet waren, stupste er Barnabas an und fragte: »Worauf warten die Bürger von Frankfurt? Auf einen König?«
Barnabas antwortete nicht, obwohl er bereits ahnte, was hier geschehen würde. Stattdessen gab er dem Mönch Zeichen, ihm zu folgen. Mühsam kämpften sich die beiden durch die Reihen nach vorn. Auf dem steinernen Rand eines Brunnens standen mehrere Frauen und keiften um die Wette. Immer wieder zeigten ihre Hände zu einem bestimmten Punkt über die Köpfe der anderen hinweg. Daneben lachten und schäkerten sie mit Männern, die versuchten ihnen die Röcke zu heben.
Barnabas winkte Servatius heran, stützte sich auf seine Schulter und kletterte auf den Rand des Brunnens. Interessiert betrachtete der Magier die Brunnenfigur. Eine Frau mit verbundenen Augen hielt ein Schwert und eine Waage in Händen. »Der Gerechtigkeitsbrunnen! Also habe ich Recht«, murmelte Barnabas und wandte sich dem Geschehen zu.
»Vorsicht, alter Mann!«, feixte ein junges Mädchen neben ihm und lachte verführerisch. Barnabas’ schwarze Augen betrachteten es spöttisch. Als die junge Frau seines Blicks gewahr wurde, verstummte sie und schaute angestrengt nach vorn.
Die Menschen lassen sich schnell entmutigen, dachte der Magier verächtlich und wandte den Kopf in dieselbe Richtung wie die junge Frau.
»Was siehst du?«, fragte Servatius, für den auf dem Steinbrunnen kein Platz mehr war. Immer wieder hüpfte der Mönch in die Höhe, um über die Köpfe seiner Vordermänner hinwegsehen zu können, doch er konnte dennoch keinen Blick in die Mitte des Platzes erhaschen.
Barnabas kniff leicht die Augen zusammen und blickte starr geradeaus. Dann nickte er in dem Wissen, dass sein Verdacht sich nun bestätigen würde. Man hatte ein großes Holzpodest aufgebaut, was nichts anderes heißen konnte, als dass hier jeden Moment eine Hinrichtung stattfinden würde. Und schon konnte Barnabas auch den Henker ausmachen, der – den Kopf von einer schwarzen Kapuze verhüllt – die Stufen zur Richtstätte hinaufstieg. Die Menge tobte. Als der Wagner ein beschlagenes Holzrad auf das Podest rollte, schrien die Menschen im Chor: »Durch Gottes Fügung! Durch Gottes Fügung!«
Ungeduldig blickte Servatius zu Barnabas, der ihm erklärte: »Heute wird jemand hingerichtet. Man wird ihn aufs Rad flechten.«
Servatius’ Augen weiteten sich. Ein lautloses Lachen zog seine Mundwinkel in die Höhe. Mit der Zungenspitze leckte er sich abwechselnd die
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