Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
vom Turm gestoßen hat. Du hast selbst gesagt, dass er mit dir zu dieser Zeit beim Abt war.«
    Simon seufzte. »Dein Wort in Gottes Ohr. Was also willst du tun?«
    »Was schon? Ich werde hinunter zum Erlinger Gasthaus gehen und einen Boten nach Schongau schicken.« Magdalena schwang sich von der Mauer und schlenderte Richtung Dorf. »Stell dich schon mal darauf ein, dass mein Vater hier bald nach dem Rechten sieht.«
    »Das hat mir gerade noch gefehlt!«, stöhnte Simon. »Nicht nur, dass ich dem Abt weiter Rechenschaft über den Mord ablegen muss, jetzt schnüffelt mir auch wieder mal mein Schwiegervater hinterher.«
    Magdalena wandte sich grinsend um. »Bis jetzt hat er jedenfalls immer Rat gewusst. Also stell dich nicht so an. Du hättest dir ja auch eine andere Familie zum Einheiraten suchen können.«
    Sie zwinkerte ihm zu, dann lief sie über die blühenden Wiesen hinunter nach Erling. Im Westen erklang ein erstes fernes Gewittergrollen.
    Irgendwo, tief im Inneren des Heiligen Berges, klickte und ratterte es.
    Der Automat zog unaufhörlich seine Bahnen, er rumpelte über Kiesel und Steine, eckte gelegentlich an einem über­hängenden Balken an, doch er fuhr stoisch weiter. Der Gang, durch den er rollte, war uralt. Er war in den Berg gehauen worden, lange, bevor hier ein Kloster stand. Zu einer Zeit, als noch das Schwert regierte und der Glauben in blutigen Messen gefeiert wurde – mit brennenden Körben, in denen Kriegsgefangene zappelten, oder auf schwarzen zerkratzten Altären. Seitdem war der Glaube gewachsen. Er hatte seine Gestalt verändert, doch das hatte ihm nicht geschadet. Im Gegenteil, in seinem neuen Gewand hatte er Weltreiche gestürzt und Kaiser gekrönt. Seine Kraft war größer denn je.
    Der Mund der Puppe klappte auf und zu, immer wieder, ein ewig grinsender, lebensgroßer Nussknacker. Aus ihrem Inneren erklang eine leise Melodie, die durch die Gänge hallte und sich an den Felsen brach, bis sie überall gleichzeitig zu sein schien.
    Es war ein Liebeslied, doch hier in der einsamen Tiefe des Berges klang es traurig.
    Traurig und unheimlich.

Montag, der 14. Juni Anno Domini 1666,
spätabends in Schongau
    er Schongauer Henker starrte auf die Nachricht in seiner Hand und spürte, wie sein Herz schneller schlug. Es kam selten vor, dass ihm ein Bote einen Brief persönlich überbrachte. Allein die Berührung eines Scharfrichters konnte einen ehrbaren Mann in gewissen Gegenden Ruf und Anstellung kosten. Das Dokument musste also wichtig sein.
    »Woher kommt das?«, fragte Kuisl den berittenen Kurier, der mit gesenktem Blick vor ihm stand und mit der rechten Hand eine heimliche Schutzgeste machte. Seine Kleidung troff vom Gewitterregen, der in den letzten Stunden über Schongau niedergegangen war.
    »Aus … aus Andechs«, murmelte der Bote. »Vom Heiligen Berg. Der Brief ist von Eurer Tochter.«
    Jakob Kuisl grinste. »Dann hat sie bestimmt einiges Geld draufgelegt, damit du den Umweg über das Henkershaus machst.«
    »Ich war ohnehin auf dem Weg nach Schongau«, erwiderte der andere stockend. »Gleich morgen früh geht es weiter nach Augsburg. Davon abgesehen verfügt Eure Tochter über eine … nun, erstaunliche Überredungsgabe. So gar nicht wie …«
    »Wie eine dumme Henkersdirn? Ist es das, was du sagen wolltest?«
    Der Bote zuckte zusammen. »O Gott, nein! Ganz im Gegenteil, sie ist ein äußerst gesprächiges und sehr einnehmendes Frauenzimmer!«
    »Das hat sie von ihrer Mutter«, knurrte Kuisl wieder etwas gefälliger. »Immer reden. Auch wenn’s gar nichts zum Reden gibt.«
    Der Henker kramte ein paar Münzen hervor und wollte sie dem Boten in die Hand drücken, doch dieser winkte ab. »Äh, ist nicht notwendig«, stammelte er. »Eure Tochter und dieser Bader haben das schon beglichen. Gehabt Euch wohl.« Ängstlich verbeugte er sich und verschwand draußen in der nasskalten Dämmerung.
    »Jaja, du mich auch«, brummte Kuisl. Dann begab er sich mit dem Brief hinein in die Stube, wo seine Frau soeben von einem neuen Hustenanfall geschüttelt wurde. Ihr Fieber war in den letzten zwei Tagen zwar nicht weiter gestiegen, aber auch kein bisschen zurückgegangen. Noch immer lag Anna-Maria Kuisl im Dämmerzustand auf der Ofenbank. Wenigstens schliefen die zwei Kleinen endlich oben in der Kammer. Peter und Paul hatten den ganzen Abend auf ihrer kranken Großmutter herumgetollt.
    »Gibt es Nachricht von Magdalena?«, keuchte die Henkersfrau. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes?«
    »Den Boten

Weitere Kostenlose Bücher