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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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irgendwann einmal erwähnt, dass ich in einer Anlageberatungsfirma arbeitete, doch vermutlich hätte ich genauso gut sagen können, ich sei Bankdirektorin.
    Ich nickte ihm zu. »Ist Anna nicht da?« Ich sah mich um, obwohl ich wusste, dass es hier keine Stelle gab, wo man sich verstecken konnte.
    Birger schüttelte den Kopf und zog mit einem pfeifenden Geräusch Luft zwischen den Schneidezähnen hindurch. »Sie wird schon kommen«, sagte er gelassen. »Wie geht es Ihnen?«
    »Danke, gut.«
    Er blickte mich unverwandt an. »Durchwachsen, würde ich sagen?«
    »So in der Art.« Ich drehte mich zur Seite und sah eine Weile in die Dunkelheit. »Und Sie?«
    »Tja … Gute Frage. Kann man ernsthaft behaupten, dass man sich hier wohl fühlt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ach, kommen Sie schon, Sie wissen, was ich meine!« Birger sah mich noch immer eindringlich an, und in seinen wasserblauen Augen blitzte so etwas wie Trotz auf. »Man fühlt sich überhaupt nicht
wohl
. Oder sind Sie etwa anderer Meinung?«
    »Nein, da haben Sie schon recht.« Ich zögerte einen Augenblick und sah dann zu Birger, der mich skeptisch betrachtete. »Ich …«, begann ich planlos. »Ich hatte ein … kleines Tief.«
    »Ein Tief?«
    »Ja, wie soll ich mich ausdrücken … Alte Erinnerungen.« Das darauffolgende Lächeln war kaum überzeugend, denn Birger erwiderte es nicht. Im Gegenteil, er sah traurig aus.
    »Damit ist nicht zu spaßen. Und selbst die schönen Erinnerungen führen einem nur zu Bewusstsein, wie elend es hier ist.« Er schlug mit einem Arm aus. »Verdammte Dunkelheit, ich bin sie so leid! Sie hört irgendwie nie auf.«
    »Nein, das ist wohl wahr.« Ich sah ihm wieder ins Gesicht. »Wissen Sie, als ich beschlossen habe zu sterben, da dachte ich, ich bin schon ganz unten. Aber hier ist es noch schlimmer. Dieses eine Mal auf dem Felsvorsprung hatte ich zumindest das Gefühl, dass alles ein Ende hat. Als ich den Schritt tat und mein Leben beschloss, hätte es vorbei sein sollen. Und obendrein hätte ich alle anderen von meiner traurigen Existenz befreit. Darüber empfand ich sogar ein bizarres Gefühl von Zufriedenheit.«
    »Und das hat nicht funktioniert, stimmt’s?«
    »Nein, hat es nicht. Stattdessen bin ich hier gelandet. Der Unterschied ist nur, dass ich an dieser Situation hier nichts ändern kann.«
    »Kein Nangijala, meinen Sie …?« Ohne ein Geräusch war Anna hinter Birger aufgetaucht und hatte meine letzten Worte gehört.
    »Nangijala?«
    »Ja, aus den
Brüdern Löwenherz
. Das Leben nach dem Tod. Haben Sie das nicht gelesen?«
    »Nein …«
    Anna sah enttäuscht aus, hielt aber den Mund. Ich schielte zu Birger hinüber. Er sah so mutlos aus, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Anna zupfte zerstreut am Saum ihrer Bluse, doch nachdem noch mehr Zeit schweigend verstrichen war, begann sie zu erzählen.
    »Dieser Tage ist etwas passiert.«
    »So? Was denn?« Birger und ich sahen beide auf, erfreut über die Aussicht, unsere eigenen negativen Gedanken für einen Moment auszublenden.
    »Ein Unfall.«
    »Was für ein Unfall?« Ich musste mich sehr wundern über ihr zufriedenes Lächeln, und noch verdutzter wurde ich, als sie uns antwortete.
    »Evelina hat sich verletzt. Sie ist von einem Klettergerüst im Hort gefallen und hat sich den Arm gebrochen.«
    Ich sah sie entgeistert an, noch immer war dieses Lächeln auf ihrem Gesicht! Einen Moment lang machte ich mir ernsthaft Gedanken, dass sie den Verstand verloren habe, aber ihr Verhalten war ansonsten völlig normal.
    »Ich war die ganze Zeit bei ihr. Ich sah, wie sie fiel, und war zur Stelle, um sie aufzufangen, lange bevor sie den Boden berührte. Ich streckte meine Arme aus, aber sie fiel durch sie mittendurch. Verstehen Sie, ich konnte überhaupt nichts tun. Ich war wie Luft – ich
war
Luft –, und im gleichen Moment, in dem sie aufprallte, spürte ich, wie weh es tat. Ihr und mir. Es war, als würde mein eigener Arm aus dem Gelenk gerissen werden, als ihrer auf den Boden schlug. Als ob in
mir
etwas knackte und brach, obwohl es in ihrem Körper geschah.« Anna sah uns mit ernster Miene an, und ich nickte kurz. Sich nach einem Gegenstand oder einem Menschen in der wirklichen Welt zu strecken, nur um festzustellen, dass er durch den eigenen hologrammartigen Körper hindurchfällt, war ein Gefühl, das mir sehr bekannt vorkam.
    Anna zeigte mit der Hand auf den Boden vor meinen Füßen, wahrscheinlich rief ihre Beschreibung das Bild der verunglückten Evelina hervor.

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