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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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Marmorengel, der auf dem Nachttisch gestanden hatte, mit sich, und dem Krachen der Lampe folgte nun das dumpfe Geräusch der Figur, die aufschlug.
    »Was willst du?!« Mikael setzte sich auf und starrte in die Luft. »Habe ich nicht genau das getan, was du wolltest? Bist du immer noch nicht zufrieden? Hier sitze ich jetzt. Allein. Hast du es dir nicht genau so vorgestellt, als du dich aus dem Staub gemacht hast? Ist das nicht genau das, was du wolltest?« Bei den letzten Worten versagte ihm die Stimme. Dann sprang er aus dem Bett und verließ wütend das Zimmer. Im Flur warf er sich die Jacke über, fuhr in die Schuhe und stieß mit viel zu viel Kraft die Wohnungstür mit der Schulter auf. Kurz bevor er sie wieder zuschlagen wollte, hielt er inne, steckte den Kopf noch einmal durch die Tür und rief in die Stille.
    »Das hier ist jetzt
mein
Zuhause«, schrie er mit vollem Ernst. »Und wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden.«

Wie oft hatte ich ihn in letzter Zeit so gesehen, so kraftlos, ohne jede Energie. Ein Riesenunterschied zu dem Mikael, mit dem ich zusammengelebt hatte. Manchmal sprach er mit mir, mittlerweile immer seltener, aber wenn es geschah, waren seine Worte oft voller Anschuldigungen. Er war wütend auf mich, und ich konnte es ihm kaum übelnehmen. Trotzdem versuchte ich weiterhin, ihn von der Kraft unserer Liebe zu überzeugen, davon, dass es noch nicht zu spät war für uns. Aber die Bilder, die ich ihm von unseren glücklichen Stunden malte, schob er mit einem bitteren Gesichtsausdruck beiseite, und statt nach einer Nacht voller Träume unter meiner Regie mit einem Lächeln im Gesicht aufzuwachen, wirkte er zunehmend bedrückt von den Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, die ich ihm nahebringen wollte. Manchmal verlor ich die Geduld und schrie ihn an, er solle sich gefälligst zusammenreißen, ich sei doch da, er müsse nur die Augen aufmachen. Aber auch das half nichts, und nach den wenigen Szenen, in denen ich laut wurde, verschloss er sich mehr und mehr.
    Als er mich schließlich bat, für immer zu verschwinden, war ich nicht überrascht, und nachdem er die Wohnung türknallend verlassen hatte, begab ich mich ins Schlafzimmer und sank auf unserem Bett nieder. Mein Engel lag auf dem Boden. Ein Stück eines Flügels war durch den Sturz abgesplittert, aber ich konnte ihn weder aufheben noch reparieren. Ich konnte auch nicht so weinen, wie es Mikael getan hatte. Meine Augen waren trocken wie die einer Puppe aus Pappmaché, und mein Körper fühlte sich ausgehöhlt und unwirklich leicht an. Es gab ihn einfach nicht. Jetzt zwang ich mir diesen Gedanken, den ich so oft nicht hatte denken wollen, förmlich auf:
    Es gibt mich nicht.
    Ich wiederholte diesen Satz so lange, bis ich irgendwann die einzelnen Wörter nicht mehr wahrnahm. Sie schmolzen zusammen und wurden zu einem Laut, der meine Sinne mit Trauer und Leid erfüllte.
Es gibt mich nicht
. Zu meiner Überraschung begann sich in diese Feststellung eine unerwartete Erleichterung zu mischen. Ich blieb auf dem Bett liegen, das einmal mein Bett gewesen war, und spürte, wie der Gedanke, dass es mich nicht gab, den Platz einnahm, den ich nicht mehr ausfüllen konnte.
    Ich wurde schwerelos, als triebe ich im Wasser, und die Zeit war erloschen. Ich war allein, nicht einmal Arayan war bei mir, dennoch konnte ich spüren, wie sich dieselbe Wärme in mir ausbreitete wie damals, als er mir sein Licht geliehen hatte. Mit einem Mal war ich völlig ruhig, und meine Gedanken bewegten sich in Mustern und Bahnen, wie ich es noch nie erlebt hatte. Es war ungewohnt, aber nicht unangenehm, und das Muster, das sich um mich herum in diesem körper- und zeitlosen Zustand bildete, war wunderschön und faszinierte mich sehr. Wie mathematische Formeln oder grafische Zeichen aus einer längst vergessenen Sprache. Tiefe Wahrheiten in einfachen Formen.
    Als ich Mikaels Schlüssel in der Wohnungstür hörte, gab es keinen Zweifel mehr. Ich wusste, was ich zu tun hatte, und als er die Wohnung betrat, war ich nicht mehr da.

Am Ende war Melvin doch eingeschlafen. Er war unruhig gewesen und noch ein paarmal ins Bad und in die Küche gewandert. Sofia saß auf dem Sofa und lehnte ihren Kopf einen Moment lang an die Nackenstütze. Sie hatte eigentlich den Fernseher anschalten wollen, doch als sie sich setzte, die Fernbedienung schon in der Hand, konnte sie es nicht. Nicht einmal der Gedanke an die neue Krimiserie aus Dänemark, die gerade angefangen hatte, brachte sie dazu,

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