Der Himmel so fern
die Hand zu heben und mit der Fernbedienung auf den schwarzen Bildschirm zu zielen.
Eigentlich konnte sie sich gerade für nichts so richtig begeistern. Möglicherweise lag das an der Jahreszeit. Der Frühling war schön, aber anstrengend. Es gab so viel zu tun, dann das Licht und die Wärme, die man nun ausnutzen sollte und am besten wie Konserven in einem Vorratskeller lagern. Gestern hatte sie draußen nur im T-Shirt gesessen und gegessen. Nun waren ihre Schultern gerötet, doch auf der Nase machten sich Sommersprossen bemerkbar, das gefiel ihr. Sie war erschöpft, ihr Körper kam nicht richtig mit, und sie sehnte sich einfach nur nach Schlaf. Ihre Arbeit verlief glücklicherweise routiniert. Sie fühlte sich trotz allem in dem Pflegeheim wohl und mochte ihre Kollegen. Nur die Zeitnot bei den Aufgaben, die sich täglich wiederholten, machte sie in letzter Zeit schnell ärgerlich, und sie war wegen Kleinigkeiten sowohl mit Personal als auch mit Patienten aneinandergeraten. Ihr Chef hatte sich erkundigt, was mit ihr los sei, doch sie hatte die Frage mit einer halbherzigen Erklärung, in der die Worte Infekte, PMS und Frühjahrsmüdigkeit fielen, abgewehrt. Sie musste sich zusammenreißen.
Sofia reckte sich und spürte, dass ihr Rücken steif war. Seit Monaten hatte sie keinen Sport mehr gemacht. Sie war auch schon lange nicht mehr beim Friseur gewesen, obwohl es längst an der Zeit war, die gespaltenen Spitzen ließen ihr Haar glanzlos und trocken aussehen. Auf dem Nachttischschrank stapelten sich zahlreiche Bücher, ohne dass sie sie las, und in letzter Zeit hatte sie schon zweimal Einladungen von Freunden zum Essen und ins Kino abgelehnt. Sie hatte nicht genügend Energie. Nicht einmal genug für den Fernseher.
Sie hatte mehrmals versucht, Mikael anzurufen nach dem letzten Gespräch. Anfangs war sie noch sauer gewesen, weil er nie zurückrief, doch dann, als die Wochen dahinflossen, wuchs die Resignation. Beim ersten Anruf hatte sie eine Nachricht aufs Band gesprochen und ihn gebeten zurückzurufen, einen Tag später hatte sie ihm eine SMS geschickt mit demselben Inhalt. Funkstille. Wenn sie nun ab und zu mal seine Nummer eintippte, dann ohne die Hoffnung, ihn tatsächlich zu erreichen, und sie hinterließ auch keine Aufforderungen zu einem Rückruf mehr. Eigentlich gab es nichts mehr zu sagen, sie kannten sich kaum, und es gab keine Verpflichtung, den Kontakt zu halten. Was erwartete sie eigentlich? Es war naiv, sich etwas auszumalen. Nach jedem vergeblichen Anruf sagte sie sich, dass dies der letzte Versuch gewesen sei, aber dann verstrich die Zeit, wieder ein paar Wochen, und sie konnte es nicht lassen, es noch einmal zu versuchen. Zwischen ihnen war etwas passiert, das wusste sie sicher, und diese Erkenntnis brachte sie immer wieder dazu, die Vernunft unter den Tisch zu kehren.
Sofia schloss die Augen und sah Mikael vor sich. Er machte ein unglückliches Gesicht, aber nicht einmal in Gedanken kam sie ihm so nah, dass sie ihn nach dem Grund fragen konnte. Sicherlich wäre es das Beste, sie würde die ganze Sache abhaken. Er war der Mann ihrer Schwester. Ihrer toten Schwester. Sie wäre ziemlich blöd, wenn sie nicht einsehen würde, wie kompliziert das die Dinge machte.
Sie hatte noch immer seinen Gesichtsausdruck auf der Beerdigung vor Augen, wie er sie so fassungslos angestarrt hatte und sie ihm doch so vertraut war. Und dann sein Schock, als er die Erklärung bekam. Vermutlich würde er immer Rebecka in ihr sehen. Würde er das auf lange Sicht aushalten? Würde sie es aushalten?
Sie hatte sich einer Kollegin anvertraut. Irene war älter als Sofia, geschieden und ständig von Verehrern belagert, voller Energie und fast immer guter Laune. Sie hatte das Problem sehr schnell erkannt. Es ging gar nicht um Mikael. Es war der erste Versuch, jemandem wieder näherzukommen, nachdem ihre Ehe in die Brüche gegangen war. Sofia nahm die Sache zu ernst, war Irenes Diagnose. In ihrer Situation brauchte sie keine neue Beziehung, sie sollte lieber ihren Spaß haben und ein bisschen ausprobieren. Sich als Frau wieder attraktiv und begehrt zu fühlen. Sex haben, ganz unkompliziert, ohne so viele Gefühle. Sofia hatte sich für den Ratschlag bedankt und gesagt, dass sie wahrscheinlich recht habe, aber überzeugt war sie keineswegs.
Sofia ließ sich auf dem Sofa hinunterrutschen, ihr Kopf lag nun auf ein paar Kissen, die sich neben der Armstütze befanden. Nicht nur die Sache mit Mikael ging ihr durch den Kopf, auch
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