Der Himmel so fern
brachte den Kleinen ins Bett? Eine Weile stand er im Türrahmen und überlegte hin und her. Dann ging er in den Flur, holte das Telefon und setzte sich wieder an den Küchentisch. Er stellte sich ungeschickt an und verblätterte sich immer wieder auf der Suche nach ihrem Namen im Telefonbuch.
Sofia Högberg
.
Beim zweiten Klingeln nahm sie ab.
»Mikael, schön, dass du anrufst«, antwortete sie, als er sie begrüßt und sich sicherheitshalber mit Vor- und Nachnamen gemeldet hatte.
»Ja, wirklich.« Er wusste gar nicht, was er darauf sagen sollte.
»Wie geht’s dir?«
»Danke, ganz okay. Ich war heute im Büro und habe den Kollegen einen Besuch abgestattet.«
»Und wie war das für dich?«
»Ganz gut.« Er verstummte noch einmal. Wieder rettete sie die Situation.
»Es war nett, neulich so lange mit dir zu sprechen. Ich hoffe, ich habe nicht zu viel geredet.«
»Nein. Es ist so …« Er zögerte. »Ich möchte noch mehr erfahren. Ich habe lange über das, was du erzählt hast, nachgedacht. Über die Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich komme mir so dumm vor. Rebecka war meine Frau. Du musst ja den Eindruck haben, dass wir überhaupt nicht miteinander geredet haben.«
»Warum sollte ich das? Sigge und ich haben auch nicht gerade viel über unsere Kindheit gesprochen. Ich bin sicher, dass Rebecka und du über andere Dinge miteinander gesprochen habt.«
»Ich weiß es nicht … In der letzten Zeit habe ich überlegt, worüber wir uns eigentlich unterhalten haben. Und ich kann mich nicht daran erinnern, obwohl es doch Gesprächsthemen gegeben haben muss.«
Sofia wartete still, bis Mikael fortfuhr.
»Ich musste daran denken, dass du über Rebecka gesagt hast, sie hätte wilde Zeiten gehabt. So kenne ich sie gar nicht. Kannst du mir darüber mehr erzählen? Aber – passt es dir eigentlich gerade?«
»Ja, ich bin eben nach Hause gekommen.«
»Und dein Sohn … Melvin, stimmt’s?«
»Ja. Er schaut fern.« Sofia legte eine kurze Pause ein, bevor sie weitersprach. »Vielleicht ist wild auch nicht das richtige Wort. Aber sie war viel unterwegs, wahrscheinlich mochte sie sich auch einfach nicht zu Hause aufhalten. Und dann hatte sie, wie ich schon sagte, eine ganze Reihe Freunde. Meistens wohl eher unschuldige Geschichten, aber wenn ich mich an Rebecka in diesen Jahren erinnere, dann sehe ich sie immer von Jungs umringt.«
»Dann war sie sehr beliebt?«
»Ja … Obwohl, ich weiß auch nicht genau. Sie zog die Kerle an, aber sie war eigentlich nicht der Typ, der eine Verehrerschar um sich versammelte. Wenn du weißt, was ich meine. Die, die viel reden und laut lachen. So war es bei ihr nicht. Wenn jemand anrief, konnte sie am Telefon total gelangweilt reagieren, und wenn sie Besuch hatte, kam es vor, dass sie den Typen in ihrem Zimmer hocken ließ und lieber mit uns Fernsehen guckte. Als ob sie sie testen wollte.«
»Wurden die das nicht bald leid?«
»Keine Ahnung … Aber ich glaube, in der Regel war sie diejenige, die Schluss machte. Ich kann mich an eine Situation erinnern, als wir zusammen am Abendbrottisch saßen und Mama sie fragte, ob Mattias – ich glaube, so hieß er – nicht mit uns essen wolle, und Rebecka nur kurz mitteilte, dass er schon gegangen sei, weil sie mit ihm Schluss gemacht habe. Das sagte sie, als sei das die einfachste Sache der Welt. Mama und mir stand der Mund offen, doch Rebecka aß weiter, als sei nichts geschehen.«
»Und ihr habt nicht erfahren, warum sie Schluss gemacht hat?«
»Nein. Das hat sie uns nie erzählt. Ich war ja nur die nervige kleine Schwester, und Mama hielt sie immer auf Abstand. Rebecka lebte in ihrer eigenen Welt. Nur einmal war es anders …«
»Ach ja?«
»Ich glaube, das war im letzten Jahr auf dem Gymnasium. Im Sommerhalbjahr. Sie war mit einem Typen zusammen, und er machte Schluss. Hatte sich wohl in eine andere verliebt. Das war in diesem Alter ja nichts Besonderes. Rebecka war aber total verstört.«
»Aber das ist ja auch nicht ganz ungewöhnlich.«
»Nein, aber da war es etwas anderes. Sie ließ niemanden an sich heran, ganz buchstäblich – sie schloss sich ein und kam nicht aus ihrem Zimmer, solange eine von uns in der Wohnung war. Monatelang war sie wie abgeschaltet. Verabredete sich nicht, sprach kein Wort mit uns, ging nicht ans Telefon. Ich weiß das noch so genau, weil es ein extrem warmer Frühling war und sie nur drinnen hockte. Und da ein paar Monate später die Schule vorbei war, gab es jede Menge Partys, aber
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