Der Himmel so fern
doch weiter.« Anna konnte es nicht abwarten. »Es ist doch noch mehr passiert.«
»Ja ja. Also, sie gingen wieder zurück ins Zimmer, und Josef schlug vor, etwas zu rauchen.«
»Hasch?«
»Na ja, Mentholzigaretten waren es sicher nicht!«
»Okay …«
»Ja, und wissen Sie, da ist es mit mir durchgegangen. Ich habe den Fernseher angestellt, und als sie ihn ausgemacht haben, habe ich das Radio angemacht, und da haben sie es echt mit der Angst bekommen. Und ich konnte Alex ja sehen, der fand das wirklich unheimlich, also ging ich zu ihm hin, fasste ihn an den Schultern und sagte ihm, dass er diesen Mist jetzt lassen und zu seiner Mutter nach Hause gehen solle.«
»Und das hat er gemacht! Stellen Sie sich mal vor!« Anna sah ganz entzückt aus. »Er ging wirklich. Josef versuchte, ihn davon abzuhalten, doch Alex setzte sich durch. ›Ich muss heim‹, sagte er einfach immer wieder, bis er die Schuhe anhatte und ging. Das war echt richtig cool!«
»Herzlichen Glückwunsch!« Ich lächelte Birger zu. »Das klingt ja nach einem erfolgreichen Abend. Hat er durchschaut, dass Sie das waren?«
»Keine Ahnung.« Birger sank in sich zusammen. »Aber ich glaube, er hat gespürt, dass ich da war, seine Augen sahen so anders aus.«
Anna war begeistert. »Ich habe gesehen, wie er gezuckt hat, als Sie Ihre Hände auf seine Schultern gelegt haben.«
Und dann erzählten sie noch mehr von diesem Abend, während ich mich ein wenig umsah.
»Wo ist denn eigentlich Valdemar?«, fragte ich, als die anderen gerade eine Pause machten.
»Na ja … Man kann nicht sagen, er sei spät dran.« Anna dachte nach. »Wir hatten ja nichts verabredet. Wir sind uns einfach über den Weg gelaufen. Oder?«
Birger nickte. »Es sind wohl diese kleinen Filous, die das Timing bestimmen. Sie haben offenbar den Überblick.«
»Gerade deshalb könnte man ja meinen, dass er jetzt zu uns gestoßen wäre,« antwortete Anna. »Wir können ihn ja mal suchen. Was meinen Sie?«
»Und wie soll das gehen? Wir wissen doch gar nicht, wo er sich aufhält.« Ich sah sie fragend an.
»Aber wir wissen, dass er er ist, und daher ist es egal, wo er ist, stimmt’s?« Anna riss die Augen auf.
Birger nickte. »Ladies first, fangen Sie doch mal an.«
»Okay.« Ich zuckte mit den Schultern. Dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf Valdemars Bild. Als ich die Augen wieder aufschlug, befand ich mich in einem sonnendurchfluteten Raum, ein Krankenhausbett in jeder Ecke. Drei waren nicht belegt, aber in dem vierten befand sich eine Frau, die auf der Bettdecke halb lag und halb saß. Das Kopfende war hochgestellt, aber sie war ein bisschen zusammengesackt, so dass ihr das Kleid über die Knie gerutscht war und an ihrem Rücken Falten warf. Annas Vorschlag hatte funktioniert, denn neben dem Bett saß Valdemar und streichelte der alten Dame über den Arm. Er sprach leise mit ihr, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er zu mir hinüberblickte.
»Ach, Sie sind es?«, sagte er und zuckte. »Ich habe mich richtig erschreckt.«
»Wir haben Sie vermisst«, sagte ich, und in dem Moment fanden sich auch Anna und Birger neben mir ein.
»Ich konnte hier nicht weg.« Valdemar blickte auf die Frau in ihrem Bett. Sie stierte leer in die Luft. »Sonja ging es in den letzten Tagen nicht besonders gut. Sie haben sie nicht einmal in den Rollstuhl gesetzt. Heute bekam sie ihr Essen hier im Bett. Normalerweise wird sie dafür in den Speisesaal gefahren. Das ist zwar auch kein großer Ausflug, aber immerhin ein Tapetenwechsel. Und man sieht andere Leute.« Er seufzte. »Heute hat sie nur ein bisschen Kartoffelbrei gegessen und das Kalbssteak nicht angerührt. Sie haben auch keine Zeit, sie zu füttern, damit sie etwas isst. Wenn es überhaupt geholfen hätte. Sie tun, was sie können, aber leider sind alle überlastet.« Der alte Mann strich seiner Frau über die Wange, und sie drehte den Kopf zu ihm hin, doch dann bewegte er sich weiter in Richtung Fenster. »Sie hätten wirklich nicht herkommen müssen.« Valdemar schaute uns an. »Hier kann man nichts mehr ausrichten. Sie sehen ja selbst, dass sie kaum weiß, wo sie sich befindet. Von meiner Sonja ist nicht mehr viel übrig. Sie hätten sie sehen sollen, als sie jung war«, sagte er und drehte sich zu dem Foto um, das auf dem Nachttisch stand. Ihr Hochzeitsfoto in Schwarzweiß. Sonja trug ein langes, weißes Kleid und einen Brautstrauß aus Rosen. Ihr blondes Haar war stilvoll arrangiert, und auf der Stirn befand sich eine
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