Der Himmel über der Heide (German Edition)
kleiner Stich ins Herz fuhr, sobald sie an Simon dachte, so spürte Kati doch, dass die Abstände größer wurden. Allmählich wich der Schmerz sogar einer gewissen Erleichterung. Je mehr Zeit und Raum zwischen ihnen lag, desto klarer wurde Kati, dass diese Beziehung nie eine Zukunft gehabt hatte.
Wenn ich doch nur mehr wie meine Mum wäre!, dachte Kati und betrachtete das Bild ihrer Mutter, das wie eh und je auf dem Nachttisch stand.
Elli betonte stets, wie sehr ihr Annettes Geradlinigkeit imponiert hatte. Sie war immer sehr klar und direkt gewesen und hatte angeblich immer gewusst, was sie wollte. Und sie musste alles mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit getan haben. Das glaubte Kati selbst an ihren Gesichtszügen auf dem Foto ablesen zu können. Ihre Mutter schien vollkommen in sich zu ruhen.
Kati klappte ihren Laptop zu und griff nach dem gerahmten Bild, um es noch genauer zu betrachten.
Was hätte ihre Mutter wohl zu all den Veränderungen auf dem Heidehof und im Leben ihrer Tochter gesagt? Ob sie ebenfalls gewollt hätte, dass Kati in den elterlichen Betrieb zurückkehrte? Womöglich hätte ihre Mutter gesagt, sie solle ihrem Herzen folgen und das tun, was sie wirklich wollte. Schließlich ging es im Leben darum, seinen ganz eigenen Weg zu finden und den durfte man sich von niemandem vorschreiben lassen. Nicht einmal ihr Vater, geschweige denn ihre geliebte Großmutter sollten sie unter Druck setzen.
Kati atmete tief durch. Sie sah in das strahlende Gesicht ihrer Mutter und flüsterte: «Weißt du was, Mama? Ich bin nicht nach Uhlendorf zurückgekehrt, weil ich irgendjemandem etwas schuldig bin. Wenn, dann bin ich es mir selbst schuldig. Ich will nicht länger vor der Vergangenheit weglaufen. Abgesehen davon könnte ich mir kaum einen schöneren Ort auf der Welt vorstellen, um noch einmal ganz neu anzufangen.»
Kati stellte das Foto wieder an seinen Platz, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Wie viel in den vergangenen Wochen passiert war, dachte sie. Und vor ihrem geistigen Auge tauchten die unterschiedlichsten Bilder auf: Jules Grab mit den Lilien … ihr Vater, wie er endlich wieder ohne Schläuche und Maschinen atmen konnte … Simon am Fenster … Und plötzlich mischte sich auch das Gesicht von Andi Witthöft darunter, und Kati ahnte schon, dass diese Nacht sehr unruhig werden würde.
***
Tatsächlich fühlte sich Kati am nächsten Morgen wie gerädert, weil ihr Albtraum sie auch in dieser Nacht gequält hatte. In aller Herrgottsfrühe war sie wach und blieb längere Zeit einfach still liegen.
Das muss ein Ende haben!, ermahnte sie sich, als könne man über seine Träume bestimmen, und stand auf.
Um kurz vor 7 Uhr stieg Kati nach einer schnellen Dusche die Treppe hinunter, um Elli beim Frühstück zur Hand zu gehen.
«Guten Morgen, Liebes.»
Elli hatte sich die Schürze umgebunden, stand an der Arbeitsfläche, und rührte mit einer Kelle in einer großen Kanne herum.
«Morgen.» Kati drückte ihrer Großmutter ein Küsschen auf die Wange und schaute neugierig in das Gefäß. «Was ist das denn?»
«Schnuppere doch mal daran, vielleicht errätst du es», forderte Elli sie auf.
Offenbar war ihre Großmutter gut gelaunt. Kein Wunder, es versprach ein prachtvoll sonniger Spätsommertag zu werden.
«Hmm, das riecht nach Johannisbeeren oder so. Aber irgendwie auch säuerlich.»
«Du hast eine gute Nase», lobte Elli. «Das ist Johannisbeer-Essig, und ich finde, er schmeckt ausgezeichnet.»
«Johannisbeer- Essig ?»
«Ja, eine … sagen wir: Eigenkreation, die wir unserem Chaoten-Koch zu verdanken haben.»
Kati musste lachen. Der alltägliche Trubel an diesem Morgen brachte sie auf andere Gedanken. «Na, was hat Pit diesmal angestellt?»
Sie nahm sich eine Tasse Kaffee und sah ihre Großmutter erwartungsvoll an.
«Nun, eigentlich hätte er gestern nur meinen Johannisbeersaft verdünnen sollen. Aber der verflixte Bengel war wohl wieder mal ein wenig unkonzentriert. Er hat nicht das Glas mit dem abgekochten Wasser genommen, sondern wieder die Essigessenz erwischt.» Elli strich sich mit einer Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Erst war das Theater groß. Er hat sich tausendmal entschuldigt, schließlich hatte ich ja die ganze Arbeit mit den Beeren. Aber –»
«Hast du schon vergessen, dass dein Verehrer die für dich geerntet hat?», fragte Kati amüsiert.
«Jedenfalls haben Pit und ich die Mischung probiert», erklärte Elli,
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