Der Himmel über der Heide (German Edition)
auf der Stelle um und verließ das Zimmer.
Dorothee sank kraftlos auf ihren Schreibtischstuhl.
Eine Weile schwiegen sie. Dann begann Dorothee langsam zu sprechen. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht.
«Was ist bloß los mit dir, Kati? Wieso reagierst du so aggressiv auf ihn? Wieso machst du alles noch schlimmer?» Ihr Blick war seltsam leer. «Ich hatte ihn doch nur um einen Gefallen gebeten. Und zugegeben, es ist mein Fehler, dass ich ausgerechnet ihn da mit reingezogen habe. Es tut mir leid. Andreas ist ein guter Kerl, und er ist uns eine große Hilfe, vergiss das nicht.»
«Ach, jetzt soll ich ihm auch noch dankbar sein?»
Dorothee sah Kati ernst an. «Wie stellst du dir das eigentlich vor, Kati? Soll das jetzt wirklich monatelang so weitergehen? Dass du Andreas Witthöft jeden Tag grundlos anfeindest?»
«Grundlos?», höhnte Kati und stemmte die Hände in die Hüften. «Du hast ja keine Ahnung!»
«Ich glaube, du tust ihm Unrecht. Ich glaube –»
Kati stöhnte auf. Am liebsten hätte sie Dorothee ins Gesicht zugesagt, dass sie kein Recht hatte, sich überhaupt einzumischen. Bestimmt hatte Andi auch seine guten Seiten. Aber wie sollte Kati einfach über das hinwegsehen, was er Jule angetan hatte? Und warum musste ausgerechnet Dorothee Salz in diese Wunde streuen?
Aber Dorothee ließ nicht locker.
«Kati, ich weiß, dass es schwer ist.» Dorothees Stimme war vollkommen ruhig. «Aber du musst dich von deinen inneren Dämonen befreien. Dein Leben geht weiter! Und du kannst Jule nicht für den Rest deines Lebens auf einen Altar stellen und sie als Märtyrerin feiern. Das ist nicht gut. Für keinen von uns.»
Kati verstand kein Wort. Und sie wollte sowieso nichts mehr hören. Sie wusste nur, Dorothee würde sie niemals verstehen können! Wütend erhob sie sich und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Büro.
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23
Kati stand in Jules altem Zimmer mit dem Rücken zum Fenster. Anstatt sich in ihre eigenen vier Wände zurückzuziehen, war sie nach dem Streit mit Dorothee hierher gekommen. Sie konnte sich auch nicht genau erklären, warum.
Verloren sah sie sich in dem Raum um. Alles sah aus wie immer. Nur der antike Sekretär mahnte plötzlich mit trauriger Gewissheit, dass sich die Zeiten geändert hatten und Jule nie wieder hier sitzen und lernen oder einen Brief schreiben würde.
Kati wollte gerade über das dunkle Holz streichen, als es an der Tür klopfte. Es war ein zaghaftes Klopfen, und kurz darauf steckte ihre Großmutter den Kopf ins Zimmer.
«Hier bist du.» Es klang wie eine beruhigende Feststellung.
Elli trat ein, schloss hinter sich die Tür und setzte sich aufs Bett. «Dorothee hat mir gesagt, weshalb ihr gestritten habt.»
Kati zuckte mit den Schultern und ließ sich neben ihrer Großmutter aufs Bett fallen. «Und du denkst jetzt bestimmt: Wie kann man wegen eines Möbelstücks nur derart herumstreiten, oder?»
«Es ist ja nicht irgendein Möbelstück», sagte Elli verständnisvoll. «Immerhin hat schon dein Großvater seine Briefe und Papiere darin aufbewahrt. Dorothee hätte dich wirklich fragen müssen.»
«Das hat sie ja sogar!» Kati sah ihre Großmutter verzweifelt an. «Und wahrscheinlich hat Dorothee auch recht. Wahrscheinlich können wir dieses Zimmer nicht für immer so bewahren, wie es jetzt ist. Aber es fällt mir so verdammt schwer, verstehst du?»
«Ich weiß.» Liebevoll strich Elli ihrer Enkelin übers Haar. «Lass dir Zeit.»
«Aber warum musste sie ausgerechnet Andi Witthöft zu Hilfe holen?»
«Ja, das war wohl nicht besonders geschickt von Dorothee. Aber sie meint es nur gut mit dir.»
Kati schnaubte verächtlich. «Gut, vielleicht habe ich etwas überreagiert. Aber man kann von Andi wirklich nicht behaupten, dass er ein sensibler oder verantwortungsvoller Mensch wäre.» Sie redete sich erneut in Rage. «Ich meine, hat er mal versucht zu erklären, wie es zu dem Brand kommen konnte? Oder warum er sich nicht besser um Jule gekümmert hat? Und kümmert er sich heute um sein Kind?»
Elli schaute sie irritiert an. «Wie kommst du darauf, dass Andi ein Kind hat?»
Kati verzog die Mundwinkel. «Es hat doch damals kein halbes Jahr gedauert, bis diese Saskia schwanger wurde.»
«Welche Saskia?»
«Na, die aus Neuenkirchen.»
Kati konnte sich noch gut an die denkwürdige Begegnung erinnern: Sie war gerade erst aus Barcelona wiedergekommen, als sie Andi auf dem Heidemarkt in Bispingen mit einem Baby auf dem Arm traf. Wie stolz er sein
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