Der Himmel über der Heide (German Edition)
Sorgen um ihn abgelenkt hatte. Dafür war sie dankbar. Und sie beschloss, ihn morgen im Krankenhaus zu besuchen. Vielleicht würde sie Flo doch mit dem Auto zurück nach Hamburg bringen. Bei dieser Gelegenheit konnte sie einen kurzen Abstecher nach Soltau machen.
Als es um kurz nach zehn Uhr allmählich zu dämmern begann, zogen sich Kati und Flo in den Familienbereich im ersten Stock des Heidehofs zurück.
Kati wollte Flo in dem schmalen Gästezimmer einquartieren, das gleich neben ihrem früheren Kinderzimmer lag. Gemeinsam stiegen sie die Holztreppe hinauf, als Flo im Flur stehen blieb. Aufmerksam musterte sie eine Serie von Aquarellen mit Heidelandschaften. Eines der Bilder betrachtete Flo besonders intensiv. Der kleine See, der von Birken und Wacholdern umgeben war, hatte es ihr besonders angetan.
«Wow!», sagte sie beeindruckt. Dann las sie laut vor, was klein in der rechten, unteren Ecke eines der Bilder stand: « Von Kati für Jule. (1998) .» Sie stutzte. «Krass! Die sind ja von dir?!»
Kati nickte zaghaft und wollte schon weitergehen. Doch Flo hielt sie zurück.
«Ich meine, ich habe ja keinen Plan von Malerei. Aber das sehe ja sogar ich: Du hast nicht nur Irrsinnstalent am Computer, sondern auch mit dem Pinsel!»
«Kann schon sein», sagte Kati leise.
«Wer ist denn Jule?»
Bei der Erwähnung des Namens zuckte Kati unwillkürlich zusammen, und Flo spürte sofort, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. «Habe ich etwas Falsches gesagt?», fragte sie leise.
Kati überging die Frage und sagte stattdessen: «Komm, ich zeig dir dein Zimmer.»
«Du glaubst doch nicht, dass du mir so davonkommst!» Flo verschränkte die Arme vor der Brust. «Das ist heute schon das zweite Mal, dass du mir ausweichst. Mir scheint es fast so, als hättest du hier in der Heide ein paar Geheimnisse, die –»
«Ach, so ein Quatsch», warf Kati ein. Sie atmete tief durch und versuchte, dem fordernden Blick ihrer Freundin auszuweichen, indem sie Flo weiter die Treppe hinaufschob.
Oben angekommen, öffnete Kati die Tür zum Gästezimmer und bedeutete Flo mit einer einladenden Geste einzutreten. Doch ihre Ablenkungsversuche waren vergeblich. Flo ließ sich mit einem Satz auf das bereits gemachte Bett fallen und klopfte neben sich auf die Matratze, damit Kati sich neben sie setzte.
Widerwillig folgte Kati ihrem Wunsch und ließ sich wortlos auf das Bett sinken.
«Du brauchst nicht mit mir zu reden, wenn du nicht willst. Aber du weißt, dass ich mir Sorgen mache.»
Kati seufzte.
«Das ist ja auch lieb. Nur ändert das nichts.»
«Was ändert sich nicht?»
Kati beugte sich vor und knipste die Nachttischlampe an, während sie nach den richtigen Worten suchte.
«Ach … Ich habe nicht mehr gemalt, seit …»
«Seit was?», fragte Flo leise.
Kati sackte in sich zusammen. Sie war unfähig, weiterzusprechen. Einen Moment lang dachte sie nach, dann erklärte sie: «Ich werde dir irgendwann alles erzählen. Ehrlich. Nur im Moment … Da ist auch noch die Sache mit meinem Vater … Also, das ist gerade alles zu viel für mich. Verstehst du?»
Flo sah ihre Freundin voller Mitgefühl an und umarmte sie. «Natürlich verstehe ich das.»
«Danke! Du bist wirklich die allerallerbeste Freundin, die man sich nur wünschen kann.»
***
Als Kati sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, kramte sie das Handy hervor. Den ganzen Tag hatte es unbeachtet in ihrer Tasche gelegen. Und obwohl Kati sich mehrfach kurz gefragt hatte, ob Simon wohl schon versucht hatte, sie zu erreichen, war immer etwas dazwischengekommen.
Jetzt nahm sie das Handy und fand tatsächlich eine SMS von Simon. Sie freute sich, dass sein Name als Absender einer Nachricht auf dem Display zu lesen war, obwohl sie fast 24 Stunden auf eine Antwort von ihm gewartet hatte. Sie hoffte, dass er ihr diesmal seine Ankunft mitteilen würde.
Doch mit jedem Wort wurde ihre Enttäuschung größer: «sorry, süße. mir wurden noch zwei extratermine reingedrückt. komme erst morgen. flieger landet gegen 19 uhr.»
Wütend warf Kati das Handy aufs Bett und lief fluchend im Zimmer auf und ab. Dabei stieß sie sich den rechten kleinen Zeh am Bettpfosten, und sofort schossen ihr Tränen in die Augen. Ob vor Schmerz oder Wut vermochte Kati im ersten Augenblick nicht zu sagen.
Was war nur mit Simon passiert? Früher hatte er keine so lieblosen SMS geschickt. Nicht einmal Zeit für einen Anruf, geschweige denn einen virtuellen Kuss hatte er noch für sie übrig. Und das,
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