Der Himmel über der Heide (German Edition)
Aber du kannst Herrn Lehmann in aller Ruhe herumführen und ihm alles zeigen.»
Freudig lächelte Lehmann Kati an, so als ob er ganz und gar nichts dagegen hätte, die nächste Stunde mit ihr allein zu verbringen.
«Also, wollen wir gleich starten?», fragte er und leerte sein Glas.
Widerwillig sagte Kati: «Nun … Aber mit den Details kenne ich mich nicht sehr gut aus. Ich lebe ja schon seit …»
«Das macht nichts. Es geht mir zunächst einmal um einen grundsätzlichen Eindruck.» Aus seiner Jacketttasche holte er eine schicke, kleine Digitalkamera hervor. «Also, von mir aus kann’s losgehen.»
Kati setzte das gleiche Gesicht auf, das sie Gero stets dann präsentierte, wenn jede weitere Diskussion überflüssig schien. «Gern», antwortete sie schmallippig.
Kati schlug vor, mit dem ersten Stock des Haupthauses zu beginnen. Im unteren Bereich herrschte wegen der Mittagessenszeit gerade Hochbetrieb. Später würde sie dann die Nebengebäude, den Garten und die Obstwiese zeigen können.
Lehmann schien mit allem einverstanden. Gemeinsam gingen sie zurück in die Küche und dann weiter durch die Diele Richtung Treppenhaus. Langsam stiegen sie die Stufen in den ersten Stock hinauf, und Kati erklärte alles zur Geschichte und zum Alter des Hauses, was sie noch wusste. Auch die typische Bauweise eines niedersächsischen Vierständerhauses erläuterte sie und blieb dann vor einem der Gästezimmer stehen.
«Dieses Zimmer können wir besichtigen. Die Gäste sind heute Morgen abgereist, und die nächsten kommen erst gegen Abend. Die anderen Zimmer sind im Moment alle belegt, aber sämtliche Räume sind im gleichen Stil eingerichtet, sodass Sie sich bestimmt ein Bild machen können.»
Als sie den Raum betraten, reagierte Frank Lehmann etwas verhalten. «Das ist ja ganz schön dunkel hier.» Er schien Katis skeptischen Blick zu bemerken, denn er fügte schnell hinzu: «Aber durchaus gemütlich!»
Kati beobachtete, wie er mehrere Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven machte. Auch ihr fiel plötzlich auf, dass die Einrichtung zwar solide, aber vielleicht tatsächlich etwas klobig und altmodisch war. Die Betten mit den bunten Bezügen wirkten zwar gemütlich, doch der Raum an sich war einfach düster, da hatte Lehmann recht.
Als er ans Fenster trat, hellte sich seine Miene deutlich auf. «Was für eine herrliche Aussicht!»
Kati stellte sich neben ihn und schaute ebenso fasziniert auf die wellige Landschaft, die in sattem Lila strahlte. Der Anblick der Heide hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt, und sie konnte sich daran einfach nicht sattsehen.
«Wie schön die Erika blüht!», schwärmte Lehmann. «Das ist bestimmt Ihre Lieblingsblume, oder?»
«In der Heide hier wächst gar keine Erika.»
Kati triumphierte innerlich. Denn nun konnte sie ihm zeigen, dass er offenbar längst nicht alles wusste, was die Lüneburger Heide betraf.
Lehmann schien das erste Mal sprachlos, sodass Kati mit Vergnügen die Erklärung nachschob, die sie seit dem Sachkundeunterricht in der Grundschule auswendig kannte: «Das Meiste hier ist Calluna, oder noch richtiger Calluna vulgaris , auf Deutsch die ‹Gemeine Besenheide›. Erika ist Glockenheide, die blüht schon im Juli und hat so richtig glockenförmige Blüten. Der lateinische Name lautet übrigens Erica tetralix .»
Beeindruckt hob Lehmann seine Augenbrauen.
«Ich hatte nie Latein», verteidigte er sich. «Und auch Biologie habe ich in der Oberstufe abgewählt.»
Kati winkte ab. «Irgendwie hat es sich so eingebürgert, dass immer alle von Erika sprechen, wenn sie eigentlich die Besenheide meinen. Aber schließlich heißt das ja auch ‹Lüneburger Heide› und nicht ‹Lüneburger Erika›.»
Nun musste Lehmann lachen. «Sie haben Humor, das gefällt mir!»
Kati war das ziemlich egal. Sie mochte den Kerl einfach nicht, und sie wollte auch nicht länger neben ihm am Fenster stehen. Sie wollte sich gerade vom Anblick der Heide lösen, als Frank Lehmann sich unvermittelt zu ihr umdrehte.
«Schön, wirklich sehr schön, was ich hier sehe …» Dabei blickte er Kati einen Moment zu lang in die Augen.
Flirtet dieser Kerl etwa mit mir?, fragte sie sich empört. Was will er eigentlich hier? Bestimmt war Frank Lehmann ein Vollprofi, der Frauen jeden Alters um den kleinen Finger wickeln konnte. Bei Dorothee hatte er mit seiner Masche ja offensichtlich bereits Erfolg gehabt.
Kati musste zugegeben, dass er durchaus attraktiv war und gut als
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