Der Himmel über der Heide (German Edition)
er plötzlich in die Küche. Er musste seinen Wagen am Hintereingang geparkt haben und über die Veranda gegangen sein. Kati fragte sich sofort, ob er womöglich nicht zum ersten Mal auf dem Heidehof war.
«Verzeihen Sie, dass ich hier so hereinplatze», erklärte er, «aber vorne war niemand.»
Wenn er nicht so einen leicht glänzenden, furchtbar perfekt sitzenden Anzug mit den passenden Luxusschuhen getragen hätte, wäre sein erster Eindruck auf Kati vielleicht ein besserer gewesen. Denn Frank Lehmann hatte ein durchaus sympathisches Gesicht und freundliche Augen.
«Sie müssen Herr Lehmann sein», sagte sie und legte das Messer beiseite, mit dem sie gerade umständlich Zwiebeln hackte.
«Einen wunderschönen guten Morgen!»
Kati registrierte, wie Pit einen vielsagenden Blick auf den seltsamen Gast warf, als Lehmann sich ihr nun in aller Form vorstellte. Pit war längst eingeweiht in die Auseinandersetzungen, die sich gestern hier abgespielt hatten. Und es war keine Frage, auf welcher Seite er stand. Um die Stimmung etwas aufzuheitern, hatte er bei den Vorbereitungen zum Mittagessen ein paar aberwitzige Ideen zur Rettung des Heidehofes vorgeschlagen: die Gründung einer Hippie-Heide-Kommune oder ein Trainingscamp für Fußballprofis. Seine Späße brachten sogar Elli zum Lachen. Doch dann war ihm bei den Vorbereitungen zum Mittagessen der Braten auseinandergefallen, was für Katis Großmutter einer Katastrophe gleichkam. Das Lachen war ihr im Hals steckengeblieben, und seitdem versuchte sie fieberhaft, den Mittagstisch zu retten. Pit hatte vorgeschlagen, Heidschnucken-Frikassee daraus zu machen. Seine einzige Chance.
Und nun kam dieser Investor auch noch viel zu früh! Dabei hatte sich Kati doch noch umziehen wollen. Nur dass ihr beim Aufräumen dann ein Tablett mit sauberem Besteck heruntergefallen war und sie wertvolle Zeit verloren hatte, weil sie alles wieder aufsammeln musste.
«Ich bin Katharina Weidemann, die Tochter des Hauses. Sie müssen entschuldigen, hier geht es gerade etwas turbulent zu.» Kati zog sich die Schürze aus. «Meine Stiefmutter verspätet sich. Sie hat mich aber gebeten, schon mal mit der Führung anzufangen.»
Lehmann nickte freundlich und entblößte ein Zahnpastareklame-Lächeln.
Kati stellte ihm Pit vor, der nun ihre Arbeit an dem nach wie vor recht großen Berg Zwiebeln übernehmen musste, und führte Lehmann dann in den hinteren Teil der Küche, wo Elli gerade das Fleisch des misslungenen Heidschnuckenbratens vom Knochen löste. Auch sie fühlte sich offenbar etwas überrumpelt, als der Besucher sich höflich verbeugte.
«Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen!», schmeichelte Lehmann. «Wunderschön haben Sie es hier!»
«Danke», erwiderte Elli knapp und bat ihn und Kati, schon auf der Veranda Platz zu nehmen. «Ich komme sofort nach und bringe etwas zur Erfrischung.»
«Aber darum kann ich mich doch kümmern», sagte Kati schnell. «Du musst das Mittagessen retten.» Doch Elli scheuchte sie aus der Tür und widmete sich wieder der Rettung des Mittagsgerichts.
Kati blieb nichts anderes übrig, als den Gast zu dem großen Tisch auf der Veranda zu führen und ihm höflich einen Sitzplatz anzubieten.
«Wohnen Sie auch hier auf diesem schönen Fleckchen Erde?», fragte Lehmann und blickte Kati aus leuchtend blauen Augen an.
Der antrainierte Charme dieses Selfmade-Manns irritierte sie. «Ich … äh, ich wohne eigentlich in Hamburg und bin nur zur Aushilfe hier. Die Hauptsaison ist ja gerade angelaufen und …»
«Weit über eine Million Übernachtungen allein in Bispingen!» Seine Augen blitzten. «Die Gemeinde ist somit Marktführer, nicht nur durch den angrenzenden Ferienpark, sondern auch durch die Nähe des Wilseder Bergs und des Naturschutzgebietes.»
Kati wusste nicht so recht, ob sie beeindruckt oder genervt war von seiner offensichtlich auswendig gelernten Marketingansprache. Glücklicherweise kam Elli in diesem Moment mit den Getränken und ersparte ihr, auf den ungebetenen Gast eingehen zu müssen.
Wie üblich reichte Elli ihren Holunderblütensaft, den Lehmann sofort überschwänglich lobte.
«Ganz köstlich, Frau Weidemann.»
«Meine Spezialität!», erwiderte Elli nicht ohne Stolz. «Damit Sie auf ihrem Rundgang mit meiner Enkelin nicht ins Schwitzen geraten.»
«Wie, du kommst nicht mit?», entfuhr es Kati eine Spur zu entsetzt.
«Ich kann Pit mit dem Mittagessen unmöglich alleine lassen. Der misslungene Braten heute Vormittag hat mir gereicht.
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