Der Himmel über der Heide (German Edition)
und Ausblick auf die Elbe. Da war ich 41.»
«Dann haben Sie also alles erreicht.» Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
«Na ja», sagte Lehmann und ordnete umständlich die Mappen zu einem Stapel, «fast alles … Wenn Sie wissen, was ich meine.» Er hielt seine rechte Hand hoch und spielte mit den Fingern. «Wie Sie sehen, fehlt noch etwas an meinem Ringfinger.»
«Sie haben keine Familie?» Kati wollte es jetzt ganz genau wissen und schämte sich im gleichen Augenblick für ihre direkte Frage.
«Nein.» Lehmann hielt in der Bewegung inne und sah sie an. «Und Sie? Haben Sie Familie?»
Kati dachte kurz nach. Schließlich erklärte sie grinsend: «Sie haben meine Familie schon kennengelernt!»
Er lächelte, dann räusperte er sich. «Ich meinte, ob zu Ihrer Familie noch mehr Menschen gehören.»
Kati schluckte. Es waren Momente wie dieser, in denen es ihr besonders schwerfiel, so zu tun, als hätte es Jule nie gegeben. Und doch war es unmöglich von ihr zu erzählen. Wie sollte sie einem Frank Lehmann vom Tod ihrer Schwester erzählen, wo sie es doch nicht mal Simon erzählt hatte! Also seufzte sie einmal und kam stattdessen auf das zu sprechen, was ihr Gegenüber offenkundig wirklich in Erfahrung bringen wollte: «Mann, Kind, Haus und Hund – all das wünsche ich mir zwar, habe es aber nicht. Also … nicht wirklich jedenfalls. Ich … äh …»
Bevor sie weiter herumstotterte, senkte Kati schnell ihren Blick.
«In der Reihenfolge?»
Kati stutzte und brauchte eine Weile, um sich an ihre eigenen Worte zu erinnern. Mann, Kind, Haus und Hund … was hatte sie nur für einen kitschigen Schwachsinn geredet!
«Die Reihenfolge ist nicht so wichtig», erklärte sie schnell und lachte verlegen.
«Ein Haus haben Sie aber im Grunde schon. Und eine so schöne und clevere Frau wie Sie braucht doch bestimmt nur mit den Fingern zu schnipsen.»
Kati wusste im ersten Augenblick nicht, was sie mehr verunsicherte: das Kompliment oder ihre Freude darüber. Schnell wurde sie wieder sachlicher. «Wenn wir schon beim Thema sind: Wie haben Sie sich das mit dem Heidehof nun eigentlich genau vorgestellt?»
Frank Lehmann fuhr sich durch das volle Haar und verkreuzte die Hände selbstbewusst hinter dem Kopf.
«Nächste Woche mache ich Ihnen ein konkretes Angebot.»
Kati wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Einerseits sträubte sich alles in ihr, sobald dieser fremde Mann darüber sprach, was er mit dem Familienbesitz anstellen wollte. Sie fürchtete, dass er sie mit einer lächerlichen Kaufsumme abspeisen und den Heidehof bis zur Unkenntlichkeit entstellen würde. Andererseits schien er durchaus Respekt vor der Geschichte des Hofes zu haben und sich der langen Tradition bewusst zu sein. Und sie musste sich eingestehen, dass er einen überaus kompetenten und seriösen Eindruck machte.
In jedem Fall fühlte Kati sich in seiner Gegenwart inzwischen nicht nur wohl, sondern durchaus auch geschmeichelt. Er schien sie wirklich ernst zu nehmen und auf sie einzugehen, ein Gefühl, das ihr Simon schon lange nicht mehr gegeben hatte. Abgesehen davon war Frank Lehmann auch äußerlich höchst ansprechend, wie Flo sicher später bestätigen würde.
«Wissen Sie was?», unterbrach er plötzlich ihre Gedanken. «Ich glaube, Sie haben großes Glück, auf einem so idyllischen Fleckchen Erde aufgewachsen zu sein.»
Seine Worte und die Art und Weise, wie er gesprochen hatte, berührten Kati. Es war seltsam, trotz der schwierigen Situation fühlte sie sich auf dem Heidehof immer noch geborgen.
«Und wenn ich Kinder hätte», ergänzte er, «wäre ich froh, sie in einer solchen Umgebung großziehen zu können.»
Kati staunte. «Meinen Sie das ernst? Sie wissen schon, dass es im Umkreis von zehn, fünfzehn Kilometern weder ein Kino, noch ein Theater oder gar ein Einkaufszentrum gibt?!»
Nun lachte Frank Lehmann so herzlich, dass Kati mitlachen musste.
«Gibt es denn wenigstens ein Restaurant?», fragte er, als er die Mappen in seinem schwarzen Handkoffer verstaute.
Irritiert sah Kati ihn an. «Wir haben hier –»
«Ich meine, ein Restaurant, in das ich Sie mal ausführen könnte?», unterbrach er sie und sah ihr tief in die Augen.
Kati wollte etwas erwidern, doch es kam keine einzige Silbe aus ihrem Mund.
«Ich möchte Sie aber nicht bedrängen», ruderte Lehmann schnell zurück. Er fuhr den Laptop runter und stand auf.
Schade eigentlich, dachte Kati, als sie ihre Fassung zurückgewann. Konnte es sein, dass Frank
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