Der Hochzeitsvertrag
gezogen, meinte auch, es unten schellen gehört zu haben. Doch offenbar achtete niemand darauf. Sollte sie selber in die Küche hinuntergehen? Emily kannte sich recht gut im Herrenhaus aus, wusste aber nicht, ob sie mit einem Besuch im Untergeschoss nicht gegen die Quarantäneregelungen verstieß.
Da es auch empfindlich kühl geworden war, beschloss Emily, es sich im Bett gemütlich zu machen. Im Ankleidezimmer öffnete sie ihre eng anliegende Taillenjacke, die sie über ihrer weißen Chemisette trug und hakte das Korsett auf. Nachdem sie die Stiefeletten und Strümpfe ausgezogen und ihre vier Unterröcke mit den restlichen Kleidungsstücken auf einen Sessel gelegt hatte, ging sie zum Waschtisch, erfrischte sich mit dem Wasser aus der Schüssel, die für sie bereitgestellt worden war, und schlüpfte nur mit dem Hemd und ihrer knielangen Unterhose ins Bett. Es war Mitte Mai und noch immer waren die Nächte kalt und verregnet.
Wenn doch noch jemand kommt, werde ich nach Süßigkeiten, Büchern aus der Bibliothek und einem Eimer Kohle für den Kamin schicken, dachte sie, dann fiel sie in tiefen Schlaf.
Lautes Klopfen weckte sie viele Stunden später aus ihren Träumen. Emily strich sich die zerzausten Locken zurück und murmelte: "Ja? Wer ist da?"
Die Tür wurde geöffnet. "Emily? Guten Morgen. Ich bedaure, dass ich gestern Abend vergessen habe, jemanden mit dem Dinner zu dir zu schicken. Der Captain hatte einen schweren Rückfall, und wir waren sehr beschäftigt. Aber dafür bekommst du jetzt reichlich zu essen."
Ein wenig verlegen kam er mit einer riesigen Speisenplatte ins Zimmer. "Ich habe außerdem vergessen, dir zu sagen, dass du natürlich Gebrauch von allen Sachen meiner Mutter machen kannst. Nimm dir, was du benötigst – Kleider, Nähzeug und was du sonst noch finden kannst."
"Vielen Dank, Mylord."
Ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen, eilte Nicholas in das Schlafzimmer und setzte das schwer beladene Tablett vorsichtig auf dem Tisch ab. Dann ging er rasch wieder zur Tür. Dort drehte er sich nochmals um und machte eine unbestimmte Geste in Richtung des Betts. "Lass es dir schmecken, Emily. Ach, und bevor ich's vergesse: Deinem Bruder geht es heute ungewöhnlich gut."
"Warten Sie!" rief Emily aus und hätte fast ihren unzureichend bekleideten Oberkörper entblößt, so hastig setzte sie sich auf. In letzter Sekunde zog sie die Bettdecke hoch und steckte sie um sich fest. "Bitte gehen Sie noch nicht! Sie sagten, der Captain sei wieder krank. Geht es Joshua wirklich gut?"
Nicholas blieb stehen und trat von einem Fuß auf den anderen. Emilys Anblick machte ihn nervös. "Joshua? Es geht ihm wirklich gut. Das sagt zumindest der Doktor. Er hatte gestern Nacht und heute Morgen kein Fieber mehr. Und sein Appetit ist ganz normal."
"Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das beruhigt", meinte Emily und seufzte. "Könnte ich Sie wohl um etwas bitten? Ich hätte gern etwas zu lesen und einen Eimer Kohle."
"Natürlich – was auch immer du willst." Er überlegte einen Moment, bevor er hinzufügte: "Ich weiß, dass es dir sehr schwer fällt, zu warten. Könnten wir nicht einen Kompromiss aushandeln? Wie wäre es, wenn ich dich Joshua für ein paar Augenblicke sehen ließe? Nur von der Türschwelle aus, darauf muss ich bestehen. Würde dir das helfen?"
Emily nickte, und Tränen rollten ihr über die Wangen. Hastig wischte sie sie fort.
"Na, wer wird denn da weinen", beschwichtigte er sie. "Beruhige dich. Wenn du möchtest, lass ich dich gleich nach dem Abendessen einen Moment zu ihm."
"Versprochen?"
"Versprochen! Soll ich Joshua eine Nachricht von dir zukommen lassen?"
Sie nickte erneut. "Sag ihm – sag ihm, dass ich es kaum erwarten kann, ihn wieder zu sehen. Dass ich ihn sehr lieb habe. Und dass Vater und ich ihn schrecklich vermisst haben."
Unwillkürlich machte Nicholas einen Schritt auf das Bett zu, dann hielt er inne und fuhr sich durch das Haar. "Alles wird gut werden", sagte er mit fester Stimme. "Das weiß ich. Trotz des Rückfalls gestern Abend geht es Captain Roland heute schon viel besser. Und George Tuckwell, der Zahlmeister, hat sich schon fast so gut erholt wie Joshua."
"Hatte niemand sonst irgendwelche Beschwerden?" erkundigte sie sich und sah besorgt zu ihm hoch.
"Nein. Jeder von ihnen muss mir drei Mal am Tag Auskunft über seinen Zustand geben. Aber abgesehen davon, dass so manch einer es hasst, so lange an Land sein zu müssen, gab es bislang keine Probleme. Nicht mal
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