Der Hoteldetektiv
Jörgi.«
»Ich bin ja schließlich dein Sohn«, sagte ich, »und du hast ganz
schön auf mich aufgepaßt, als ich in den gefährlichen Jahren war.«
Sie schaute mich an, und ich schwöre, sie grinste; da kam die Ber-
liner Göre durch, die sie einst gewesen und die sich gegen alle
Widerstände einer stinkbürgerlichen Familie durchgesetzt und Schauspielerin geworden war.
»Danke, Jörgi.«
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»Gern geschehen.«
»Wo werdet ihr denn nun leben?« fragte Mama schließlich.
»Das steht noch in den Sternen. Ich sol hier eine Nachricht von
Sheraman bekommen oder von Westmann.«
»Und dann?«
»Ich weiß noch nichts Genaues.«
»Weißt du«, sagte sie, »wenn ich daran denke, wie du angefangen
hast, als Polizist…«
»Auch das war eine schöne Zeit.«
Ja, es war wirklich eine schöne Zeit gewesen. Damals gab es noch
so etwas wie einen gewissen Respekt vor uns, damals, da hießen wir noch nicht Bullen. Damals flogen nur selten Steine, und keiner
hieb uns mit einer Eisenstange über die Knie und schickte uns da-
mit für den Rest unseres Lebens in den Rollstuhl.
Ich will damit nicht behaupten, daß etwa alle Kollegen reine En-
gel waren, aber das Leben war noch nicht so brutalisiert. Damals
war noch keiner wegen eines Parkplatzes erschossen worden, und
Entführungen waren kriminelle Handlungen, denen man nicht ein
politisches Mäntelchen umhing. Noch war kein Kinderwagen in die
Fahrbahn des Wagens eines Industriel en gerollt, worauf der Fahrer natürlich stoppte und dann erschossen und der Boß gekidnappt
wurde, angeblich einer guten Sache, nämlich einer revolutionären
Bewegung und Notwendigkeit wegen.
Und wir hatten noch keine Kollegen, die zu Säufern wurden, weil
sie den Druck nicht mehr aushielten, die Prügelknaben der Nation
zu sein.
Daß ich vom einfachen Polizisten mit Aufstiegschancen zum Ho-
teldetektiv wurde, ergab sich wie ganz von selbst.
Abenteuerlust hatte immer in mir gesteckt, Spürsinn wohl auch.
Aber darüber hinaus fühlte ich mich in meiner Haut und Uniform
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wohl.
Und dann kriegten wir eines Tages die Vermißtenmeldung aus
dem Pensionat der Fräulein von Ursula.
Es lag bei Kornelimünster.
Es war ein wunderschöner alter Barockbau, und die Sonne schien
den ganzen Tag die Mauern noch sonnengelber zu tönen, als sie
schon waren.
Ein Mädchen namens Marion Westmann war von dort ausgeris-
sen. Ich wurde hingeschickt und sprach zuerst mit der Leiterin des Internats.
Sie erschien mir beinahe so jung wie ihre Schülerinnen.
Sie trug ein schlichtes blaues Kleid, wie Jinny sie bevorzugt, und ich muß sagen, daß sie noch lange Wochen später durch meine
Träume geisterte.
»Marion war eine der liebsten und auch besten Schülerinnen«,
sagte Fräulein Hartmann. »Sie war eigentlich ein bißchen zu höflich und zu fügsam, darüber haben wir schon im Lehrerkreis gesprochen. Aber dann sagten wir uns, das ist eben ihre Natur, und nun
ist sie verschwunden, ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen.«
»Hat sie Kleidung mitgenommen?«
»Nichts.«
»Geld, Schmuck?«
»Nein.«
»Könnte sie entführt worden sein?«
»Das glaube ich nicht.«
»Wann genau ist sie verschwunden?«
»Vorgestern nach dem Mittagessen.«
»Und Sie haben heute erst Meldung gemacht?«
»Marion hatte ihren Freundinnen erzählt, sie fühle sich nicht
wohl. Sie würde ein paar Stunden im Bett bleiben. Normalerweise
haben unsere jungen Damen Zweibettzimmer, aber Marions Zim-
mergenossin war auf Wunsch ihrer Eltern vorzeitig nach Hause zu-
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rückgekehrt.«
»Also schlief und wohnte Marion allein?«
»Ja. Sehen Sie, um den hohen Standard unseres Hauses aufrecht-
zuerhalten, sind unsere Gebühren nicht niedrig. Und wir wählen
die jungen Damen sorgsam aus, nach Herkommen und Anlagen.«
Fräulein Hartmann errötete. »Wir sind dazu gezwungen, auch wenn
wir manchmal gerne anders entscheiden würden. Wir bekommen
jedoch keinerlei offizielle Zuwendungen, also müssen wir unsere
Schule aus dem finanzieren, was die Eltern unserer Schülerinnen be-zahlen können.«
»Darf ich mir Marions Zimmer einmal anschauen?«
»Natürlich.«
Fräulein Hartmann ging mir einen Schritt voraus. Sie hätte als
Mannequin arbeiten können, so schlank und graziös war sie.
Marions Zimmer erinnerte mich an eine Puppenstube.
»Sie erlauben, daß ich mich ein wenig in den Schränken und
Schubladen umsehe?«
»Natürlich«, sagte Fräulein Hartmann. »Wenn Sie möchten, lasse
ich Sie dabei
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