Der Hoteldetektiv
allein.«
»Nein, nein, nicht nötig.«
Ich fand sehr bald, was ich suchte.
Das zerrissene und angekohlte Foto eines jungen Mannes. Es lag
in der Nachttischschublade unter ein paar anderen Kleinigkeiten.
Da waren eine vertrocknete Rose, zwei Ansichtskarten aus Beirut,
die ihr Vater gesandt hatte, ein kleiner Tiegel Rouge, zwei lustige Haarspangen, die wie Schmetterlinge aussahen.
»Darf ich das an mich nehmen?« Ich zeigte Fräulein Hartmann
die Schnitzel des Fotos.
»Ja, natürlich«, sagte sie zögernd, »aber Sie glauben doch nicht…«
»Ich glaube, daß Marion diesen jungen Mann kannte. Ich glaube,
daß sie möglicherweise wegen ihm ihr Haus verlassen hat.«
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»Aber –«
»Es gibt bestimmte Lokale in der Stadt, in denen man solche jun-
gen Männer finden kann. Ich werde mit Kollegen darüber spre-
chen.«
»Und Sie werden mich benachrichtigen? Schließlich müssen wir
die Eltern –«
»Natürlich«, unterbrach ich sie.
Der Vater, Westmann, Direktor eines Hotels in Beirut, eines Ho-
tels der großen Sheraman-Kette.
Der Junge konnte Marion erpreßt haben. Oder er war einfach mit
ihr durchgebrannt.
Ich verbrachte eine ziemlich hektische Woche, um dem Jungen
auf die Spur zu kommen. Mußte es nach meinen offiziellen Dienst-
stunden tun.
Dann hatte ich ihn. Selber ein Sproß aus guter Familie, aber im-
mer kurzgehalten. Er studierte in Aachen. Marion hatte er im Apfel-baum kennengelernt, wohin die Mädchen manchmal gingen – sie hatten freien Ausgang, man hielt sie am langen Zügel. Im Internat
wußte man, sie kehrten ja immer wieder in den Hafen der Gebor-
genheit zurück.
Aber dann hatten wohl beide durchgedreht, zuerst der Junge, Jür-
gen, dann Marion, und waren einfach abgehauen.
Kollegen fanden sie schließlich in Hamburg in einer der ersten
Kommunen, die es damals gab.
Beide jungen Leute kehrten nur zu gern zu ihren Familien zu-
rück. Sie hatten sich das Leben in Freiheit ganz anders vorgestellt.
Aber, und das wurde ihnen sehr bald klar, das Leben hält nur be-
stimmte Freiheiten für jeden bereit, und die sind nicht dadurch zu erreichen, daß man einfach abhaut. Denn da bauen sich neue
Schranken auf.
Westmann kam nach Aachen.
Marion war freiwillig ins Haus der Fräulein von Ursula zurückge-
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kehrt. Später, so sagte ihr Vater, solle sie die Hotelfachschule besuchen und noch später als seine rechte Hand arbeiten.
Das hat sie nie getan.
Aber sie hat ihren Jürgen geheiratet, und Westmann dürfte inzwi-
schen Großvater sein.
Nun, Westmann weckte meinen Geschmack für meinen zweiten
Beruf – Hoteldetektiv.
Und er war es auch, der mich der Sheraman-Kette vorschlug.
Hoffentlich hat er es nicht bereut.
Jinny kam aus dem Badezimmer, platzte mitten in meine Erinne-
rungen. Sie fiel einfach meiner Mutter um den Hals – samt jinny-
blauem Handtuch und jinnyblauer Seife in den Händen, mit Jinnys
Monogramm.
Also, kennen Sie vielleicht eine Schwiegermutter, die so viel Fin-
gerspitzengefühl besitzt, sogar an solche Dinge zu denken? Jinnys
Eltern, das wußte ich inzwischen, hatten das nie getan. Vor allem
ihre Mutter nicht.
Für die Mutter war Jinny ein Kuckucksei, ich würde zwar lieber
sagen, ein Paradiesvogel, aber das hätte nicht gestimmt.
Das Mädchen, das so schön war und dazu über einen eisernen
Willen verfügte, das sich durchsetzte und die höhere Schule besuch-te und auch danach alle Widerstände überwand und im Handum-
drehen in einem der größten Hotels in Frankfurt angestellt wurde,
am Empfang, ein solches Mädchen paßte nicht in die kleinbürger-
liche Familie, in der nur Söhne etwas galten. Aber wer hätte sich
schon Jinnys Lächeln entziehen können, ihrer Stimme, die so sanft
sein konnte, wie Katzenpfoten, wenn die Krallen, o ja, die hatte sie, eingezogen waren?
Für Jinny war meine Mutter die Mutter, die sie sich immer ge-
wünscht hatte, und für meine Mutter war Jinny die Tochter, die
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sie sich immer gewünscht hatte, wäre mein Vater, auf den sie nach
all den vielen Jahren immer noch wartete, damals nicht im Krieg
geblieben.
Ich ließ die beiden Frauen allein.
Stromerte durch die Stadt, besuchte alte Kneipen, fand alte
Freunde, besuchte auch das Polizeipräsidium, fand alte Kumpel.
Ich ließ mir Zeit, viel Zeit.
So vieles gab es zu erzählen, so vieles aufzufrischen.
Ich weiß nicht, wie oft wir an diesem Abend, in dieser Nacht ge-
sagt haben: »Und weißt du noch, und damals, und wie es
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