Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Klosters, das ihm zwei Bauernhöfe eingebracht und die finanzielle Lage erheblich verbessert hätte, für null und nichtig erklärt hatte. Außer Wittiges befanden sich nur noch drei Pilger als Dauergäste im Kloster, zwei davon litten wie er an einer fiebrigen Erkrankung und der dritte starb, während er sich bereits auf dem Weg der Besserung befand.
Wenn die Mönche gerade nicht in ihrer zugigen Kirche beteten, sich um die Pilger kümmerten oder ihr Vieh versorgten, stritten sie erbittert um Nichtigkeiten. Allesamt liefen sie in lumpigen Kutten herum, und ihre ungewaschenen Leiber stanken schlimmer als ein Fuchsbau.
Wittiges fühlte sich längst nicht wiederhergestellt, als ihm Vater Christophorus freundlich, aber bestimmt mitteilte, das Kloster könne ihn nicht länger beherbergen. Vor allem sein Pferd fraß ihnen trotz der geringen Größe die Haare vom Kopf. Wittiges sah ein, dass er die Mildtätigkeit der Mönche nicht länger in Anspruch nehmen durfte, zumal er sich keineswegs auf einer Pilgerfahrt befand. Er wusste nicht, ob Vorsicht oder Rücksicht Christophorus davon abgehalten hatte, ihn zu fragen, wie er überhaupt in den elenden Zustand geraten war, bevor ihn die Brüder vor der Klosterpforte gefunden hatten. Zwei Wochen hatte er bei ihnen verbracht und zweifellos verdankte er den Mönchen sein Leben. Hätte er Geld besessen, hätte er es ihnen gegeben, so aber, völlig mittellos, musste er zum letzten Mal ihre Mildtätigkeit in Anspruch nehmen. Seufzend reichte ihm Christophorus einen kleinen Sack mit Proviant herauf, nachdem Wittiges sich mit seiner tatkräftigen Hilfe auf den Rücken des Falben gesetzt hatte. Statt seiner eigenen Kleidung, die völlig zerfetzt gewesen war, trug Wittiges eine alte Kutte und darüber statt eines Mantels ein großes löchriges Tuch, ebenfalls ein Abschiedsgeschenk, zusammengehalten von einer krummgebogenen eisernen Nadel. Als er sich zum Tor wenden wollte, fielen ihm die beiden Silberfibeln ein, die in seinem alten Mantel gesteckt hatten, aber danach gefragt zu werden, hätte Vater Christophorus sicher als Beleidigung aufgefasst.
„Möge Gott über dich wachen“, sprach Christophorus salbungsvoll zum Abschied und winkte Wittiges ungeduldig zum Tor hinaus.
Ein milder Winter war hereingebrochen, der die schneelose Landschaft trist und grau erscheinen ließ. Wittiges befand sich nördlich von Paris in einer waldreichen, von Bächen durchzogenen Gegend, in der es große Gehöfte und kleine Weiler gab, in denen er um Unterkunft bitten konnte. Aber bevor er am ersten Abend den Weg zu so einem Gehöft einschlug, schnitt er sich die Haare kurz und schabte sich unter großer Mühe eine Tonsur. Das Messer stammte aus der Klosterküche, und ein wenig plagte ihn das schlechte Gewissen, weil er es hatte mitgehen lassen. Es bildete seine einzige Verteidigungswaffe neben einem kräftigen Stock, den er sich gleich im ersten Wald zurechtgeschnitten hatte.
Am dritten Abend näherte er sich einem Gehöft, das ihn der Größe wegen an Theodos Hof erinnerte. Bisher hatte er die Erfahrung gemacht, dass er in den kleinen Gehöften eher Aufnahme fand, dennoch wollte er hier um ein Nachtquartier bitten.
Wie üblich war das Anwesen von einer breiten, undurchdringlichen Hecke aus dornigen und stachligen Sträuchern umgeben. In Tornähe erreichte ihn der Klang zweier Männerstimmen. Die eine lispelte deutlich. Jeder S-laut endete in einem Zischen, das an eine Schlange erinnerte und der Stimme etwas Verschlagenes und unterschwellig Bedrohliches gab, aber vielleicht bildete er sich das nur ein. Es schien ihm jedenfalls geraten, erst einmal zu lauschen, bevor er entschied, ob er hier vorsprechen sollte.
„Warum hier?“, fragte einer der Männer.
„Wegen der Lage natürlich. Der Hof hat keine Nachbarn und ist gut zu verteidigen. Ein perfekter Treffpunkt.“
„Und wie locken wir ihn her?“
„Das dürfte leicht sein. Ihm ist jeder willkommen, der sich ihm anschließen will. Sobald er hier ist, geben wir ihr Nachricht. Und dann ...“
Wittiges dachte nach. Was er da gehört hatte, klang nach einer Verschwörung. Wer war mit er oder sie gemeint? Allerdings gab es überall und immer wieder Verschwörungen, und mit dieser hatte er nichts zu schaffen.
Die zischende Stimme stockte. „Da ist jemand. Siehst du ihn? Du stehst ...“
Die Hecke war wohl doch nicht so dicht, wie Wittiges angenommen hatte. Er trieb dem Pferd die Fersen in die Weichen, trabte an und galoppierte am Tor vorbei.
Weitere Kostenlose Bücher