Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Als er glaubte, der Gefahr entronnen zu sein, hörte er hinter sich Hufschlag. Leider führte der Weg durch halb offenes Gelände. Zwischen den einzeln stehenden Bäumen fehlte das Unterholz, das Sichtschutz hätte bieten können. Dennoch verließ Wittiges den Weg und lenkte das Pferd tiefer in den Wald hinein, immer auf der Suche nach einem Versteck. Er konnte doch jetzt so kurz vorm Ziel nicht scheitern! Noch ein Tagesritt, und er wäre zu Hause.
Stimmen schallten hinter ihm her, und als er sich umwandte, meinte er, einen Reiter zu sehen, der ihm viel zu dicht folgte.
Immer noch kein Versteck.
Als er schon die Hoffnung aufgeben wollte, seinen Verfolgern zu entkommen, erreichte er den Rand einer sumpfigen, mit Schilf bestandenen Mulde, durch die ein träger Bach floss. Wittiges lenkte das Pferd hinein, glitt von seinem Rücken und trieb das Tier mit einem Schlag auf die Kruppe weiter, während er blieb und sich zwischen die Halme in den Schlamm duckte. Die Kälte ließ ihn sofort zittern. Lange war nichts zu hören, aber dann verrieten ihm das Klirren von Zaumzeug und andere Geräusche, dass sich seine Verfolger näherten. Er machte sich noch kleiner und zog sich die braune Kapuze über den Kopf, ganz darauf bedacht, mit dem Schlamm zu verschmelzen.
Jetzt konnte er nur noch stillhalten.
Das war gar nicht so einfach. Er hörte sein Herz schlagen und widerstand dem Drang, hochzuschauen. Es war grauenhaft, seine Verfolger nicht sehen zu können. Er hörte ein Tier schnauben, es war ganz nahe.
Etwas stach ihn in den Rücken. Eine Schwertspitze?
„Was ist?“, fragte der eine der Männer.
„Irgendwas Armseliges“, antwortete der andere gelangweilt.
„Mach keine Scherze. Wenn du ihn gefunden hast, töte ihn und komm aus dem Sumpf heraus“, sagte der Mann mit der zischenden Schlangenstimme ungeduldig.
„Nein, warte!“ Das Schwert glitt höher, drückte Wittiges ins Genick. „Es ist ein Mönch. Ein stinkender Dreckhaufen von einem Mönch.“
„Ich sag’s noch einmal: Töte ihn. Worauf wartest du?“
So elend zu verrecken, hatte sich Wittiges nie vorgestellt. Wie ein Schwein abgestochen zu werden! Seine Hände tasteten nach dem Messer, fassten aber nur in Schlamm. Es stank nach Fäulnis und Tod. Hier würde er also verrotten, und niemals würden Aletha, Pontus ... und Brunichild davon erfahren ...
„Das kleine Pferd gefällt mir. Hol es her, wir nehmen es mit.“
Wittiges’ linkes Ohr war voll kaltem, klebrigem Moder. Mit dem anderem fing er ein schwaches Wiehern auf, dann trat ihm ein Pferdehuf in den Rücken, drückte ihn tiefer und tiefer in den Morast, bis er mit dem Kopf darin versank. Beim Versuch, Luft zu holen, drang ihm schlammiges Wasser in den Mund. Ein heißer Schmerz ballte sich in seiner Brust zusammen, sprengte ihm die Rippen, Angst stieg auf, Vorbote des Erstickens, siedendheiße Angst und Verzweiflung, rabenschwarze Verzweiflung über dieses unwürdige, erbärmliche Ende.
Als Wittiges auch nach Wochen nichts von sich hören ließ, nahm Brunichild an, dass er gefasst worden war. Leider konnte sie nichts für ihn tun. Aus Burgund erreichten sie Nachrichten über Aufstände, und das bedeutete, dass sie Guntram nicht einmal um Hilfe für Merowech bitten konnte.
Vor Weihnachten erreichte sie dann ein Brief ihres Gatten. Außer sich vor Freude las sie, dass er mit Hilfe einiger Getreuer aus einem Kloster in Le Mans, wohin ihn Chilperich verbannt hatte, nach Tours entkommen war und dort bei Bischof Gregor, einem erklärten Gegner seines Vaters, Aufnahme und Schutz gefunden hatte.
Zufällig wusste sie, dass die Umgebung von Tours wieder einmal von Chilperichs Truppen heimgesucht wurde. Es konnte also nicht lange dauern, bis er sich über seine Hemmungen hinwegsetzen und die Klosterimmunität angreifen würde. Dieser Gefahr musste sie zuvorkommen. Daher hatte sie die wichtigsten Mitglieder des Rats zu sich gebeten, darunter Gogo, Lupus, seinen Bruder Magnulfus und Wandalenus. Aegidius, der Erzbischof von Reims nahm gleichfalls an der Beratung teil.
Seit der Niederlage gegen Chilperich begegneten die Räte Brunichild immer öfter mit Ablehnung. Nur Gogo hielt unerschütterlich zu ihr und kritisierte sie allenfalls unter vier Augen. Sorgen bereitete ihr, dass er seit einiger Zeit über Gicht klagte, aber ihre Empfehlung, weniger zu trinken und zu essen, was ihm auch die Ärzte in Toledo unzweifelhaft geraten hätten, in den Wind schlug.
„Warum hast du uns rufen lassen?“, fragte dux
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