Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
noch rasch. Das schien ihm nach der langen Krankheit kaum verwunderlich, die Schwäche würde sich mit der Zeit schon geben.
Sie hatten das Haus beinahe für sich allein. Viola lebte zwar nach wie vor bei ihnen, hielt sich aber entweder in den Werkstatträumen oder bei Agnes in der Kinderstube auf.
Pontus war mit einigen Knechten in den Süden gereist, um in Lyon einen neuen Schmied anzuheuern, und würde frühestens in einer Woche zurückkehren.
„Warum wollte er nach Lyon?“, erkundigte sich Wittiges. „Gibt es in Reims keine Schmiede?“
Aletha bewegte sich unruhig. Wittiges ahnte, was Pontus bewogen hatte, in den Süden zu reisen. Zweifellos würde er in Chalon Station machen und zweifellos würde er versuchen, etwas über Felix’ Verschwinden herauszufinden. Aber Wittiges glaubte nicht, dass Pontus mehr Erfolg beschieden sein würde als ihm. Inzwischen war zu viel Zeit vergangen, um überhaupt noch an brauchbare Informationen zu gelangen. Falls Felix lebte, befand er sich sicherlich längst anderswo. Erstaunt bemerkte Wittiges, dass ihn zum ersten Mal der Gedanke an Felix keinen schneidend scharfen Schmerz verursachte.
„Pontus meint, manche Schmiedemeister aus dem Süden verstünden sich auf Verfahren, die einen härteren Stahl hervorbrächten.“
Wittiges blieb bei seiner Meinung über diese Reise in den Süden. Hier auf casa alba brauchten sie einen gewöhnlichen Schmied, der sich außer auf die Anfertigung von Werkzeugen ein wenig auf die Herstellung von Waffen verstand und der den Hof, der zur Schmiede gehörte, ordentlich bewirtschaftete.
„Und er wird auf der Rückreise in Metz Station machen, hat mir aber nicht sagen wollen, warum.“ Missbilligung schwang in Alethas Stimme mit.
Er will Ulf nach Hause holen, ging Wittiges auf. Nun wusste er, dass er sich bald den Tatsachen stellen musste, und überlegte, wie es wohl wäre, wenn der Junge nach und nach Felix’ Stellung einnähme. Wie würde Aletha darauf reagieren? Als hätte sie seine innere Anspannung bemerkt, begann sie ihn sacht zu streicheln, zu kneten und zu liebkosen, und noch einmal vergaß er die bedrohliche Welt außerhalb der wohligen Atmosphäre des Bads.
Gerade rechtzeitig zum Abendessen platzte Chramm herein. Ein Sklave hatte ihn angemeldet, und Wittiges ging ihm entgegen. Als Chramm ihn sah, erhellte große Freude sein Gesicht. Ungläubig schüttelte er den Kopf und fasste Wittiges behutsam am Arm, als müsse er sich vergewissern, einen Menschen aus Fleisch und Blut und keinen Geist vor sich zu haben.
„Ich bin so froh, ich bin so grenzenlos froh, dass du wieder hier bist! Das ist wie ein Wunder, als hätte Gott meine Gebete erhört. Aber du siehst ...“
„... nicht besondern gut aus“, beendete Wittiges seinen Satz, dabei fühlte er sich frisch gebadet und ordentlich gekleidet sogar sehr wohl. „Was hat dich bewogen, noch so spät von Theodos Hof herüberzureiten? War das klug? Wir wollten uns gerade zum Essen niedersetzen. Also leg deinen Mantel ab, wasch dir die Hände und komm mit mir. Du siehst aus, als könntest du eine Stärkung vertragen.“
Während ein Sklave für den Besucher ein kleines Bronzebecken mit lauwarmem Wasser hielt, musterte Wittiges Chramm unauffällig etwas eingehender. Sein einstiger Zögling machte einen sehr nervösen Eindruck und wirkte abgehetzt.
„Ich muss sofort mit dir reden“, stieß Chramm hervor.
„Später“, gab Wittiges gelassener zurück, als er sich fühlte, und ging bis zur Tür des Esszimmers voraus, bevor ihn Chramm aufhalten konnte.
Sichtlich beschäftigte diesen etwas so stark, dass sein Hinken stärker als gewöhnlich hervortrat. Er aß nur wenig, und sein Blick glitt auffallend häufig zu Viola, während sie vorgab, das nicht zu bemerken. Waren sich die beiden in den letzten Wochen nähergekommen oder nicht? Aletha hatte nichts dergleichen verlauten lassen.
Als Chramm ihn nach dem Essen wieder dringend um eine Unterredung unter vier Augen bat, hätte er ihn beinahe abgewiesen. Zwar hegte er unerschütterlich die Absicht, Viola mit ihm zu verheiraten, hatte aber wenig Lust, sich gerade jetzt mit dem Vorhaben zu befassen. Vor dem nächsten Frühjahr würde die Hochzeit ohnehin nicht stattfinden. Alles, was er sich im Augenblick wünschte, waren einige Nächte ungestörten, tiefen Schlafs, kräftige Mahlzeiten und viel Ruhe, bevor er sich wieder mit irgendetwas Wichtigem oder Aufregendem beschäftigte. Immerhin wollte er in den nächsten Tagen einen Brief schreiben,
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