Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Wittiges erklärte, Ulf sah selbst im Dunkeln wie ein Luchs und hatte sich längst zu einem unerschrockenen Kämpfer entwickelt, der selten die Umsicht oder die Fassung verlor. Wittiges lernte Züge an seinem Sohn kennen, die er nie vermutet hätte. Nun hatte er Angst um ihn, und es war ihm überhaupt nicht recht gewesen, ihn gehen zu lassen. Aber er sah ein, dass es eine gute Entscheidung war.
Vorher hatte er mit Chramm und Pontus zusammen die Knechte über den zu erwartenden Überfall informiert und sie für die notwendigen Wachdienste eingeteilt. Waffen waren in kaum ausreichender Zahl vorhanden, sodass sie auch Dreschflegel, Heugabeln und Schürhaken in ihr Arsenal aufnehmen mussten. Chramm hielt eine kleine Meute von Wachhunden, schwer zu zähmende Biester mit gewaltigen Kiefern, von denen sie zwei in Tornähe an lange Leinen banden. Die übrigen wurden auf die Rückseite des Gehöfts geführt, damit sie anschlugen, falls sich dort jemand den Zugang erzwingen wollte. Zum Glück war die Wehrhecke intakt, das hieß, sie umzog den gesamten Hof mit einem Gürtel höchst stachliger Sträucher, die selbst Schwertern einigen Widerstand leisten würden. Dennoch. Wittiges hätte Aletha, Viola und die kleine Agnes samt ihrer Magd gern in Sicherheit gebracht, bloß wohin? Es wunderte ihn ein wenig, dass Chramm seine Frau zurückgelassen hatte, aber vielleicht rechnete er damit, dass man einer Hochschwangeren nichts antun würde. Wittiges war sich dessen nicht so sicher. Er kannte die Gräuel einer enthemmten Kriegerbande nur zu gut.
Die Hunde schlugen an, ein sicheres Zeichen. Gleich darauf rannte der Knecht, der oberhalb des Wegs zum Hof Wache gestanden hatte, durchs Tor herein, das sofort hinter ihm geschlossen wurde.
„Sie kommen.“
„Wie viele?“
„In der Dunkelheit schwer auszumachen. Den Geräuschen nach sehr viele.“
Anscheinend brachte Wandalenus alle seine Männer mit. Gegen diese Übermacht würden sie nicht vier Tage lang Widerstand leisten können. Nicht einmal zwei.
Neben dem Tor glühte in der Hecke ein Funke auf, dann noch einer.
Wandalenus hatte sich etwas besonders Perfides ausgedacht. Er ließ Brandpfeile in die Hecke schießen und hielt zunächst Abstand.
Als sich die rötlich gefärbte Sonne über dem Horizont zeigte, stieg überall dichter Rauch auf. Einige Mägde und Knechte gerieten in Panik, weil der beißende Qualm den ganzen Hof mit seinen Schwaden erfüllte. Es war nur ein gut gezielten Pfeil nötig, und das Dach des Haupthauses oder eine der Scheunen und Schober würde in Flammen aufgehen. Wollte Wandalenus tatsächlich den Hof vernichten? Das war kaum vorstellbar. Aber selbst wenn er keine Brandpfeile auf die Gebäude richten ließ, war die Katastrophe nur eine Frage der Zeit, es bedurfte nur eines Funkenflugs. Alle Hunde bellten, die Pferde, die noch im Stall standen, donnerten mit den Hufen gegen die Wände, weil sie den Rauch rochen und die Panik auch sie erreichte. Dabei hatte der eigentliche Kampf noch gar nicht begonnen.
Pontus ließ jeden Fetzen Tuch im Brunnen nass machen und wies zwei Knechte an, das Grubenhaus auszuräumen, das am weitesten von allen übrigen Gebäuden entfernt stand. Die Kinder sollten sich im Untergeschoss verkriechen, zusammen mit Aletha und Viola. Im Stockwerk darüber würde man nasses Zeug anhäufen, und auch das Dach des Hauses sollte durchfeuchtet werden. Alle Kinder, die einen Eimer tragen konnten, halfen mit. Wittiges sah einmal flüchtig ein kleines Mädchen mit einem viel zu schweren Eimer vorüberwanken, und erst später ging ihm auf, dass es sich um seine Tochter handelte. Die Magd lief ihr schreiend und zeternd hinterher.
Anscheinend verlor Wandalenus die Geduld. Er unternahm einen Angriff auf das Tor, das die größte Schwachstelle in der Verteidigung bildete. Von dort klang ein unglaubliches Gebrüll herüber. Wittiges glaubte Waffengeklirr und Stimmen zu hören, aber in dem Lärm auf dem Hof gingen diese Geräusche unter. Wenn nur nicht der Wind wäre, der das Feuer, das hier und da in der Hecke aufloderte, noch anfachte. Pontus führte brüllend die Eimerketten zu den Glutherden und packte selbst überall mit an. Wittiges hoffte, dass Viola wenigstens die kleineren Kinder endlich ins Grubenhaus getrieben hatte. Als sie schwer atmend an ihm vorbeikam, fasste er sie am Arm.
„Verschwinde! Auf der Stelle. Wo ist Aletha? Habt ihr sie ins Grubenhaus geschafft?“
Unter wuchtigen Schlägen erzitterte das Tor. Wandalenus setzte
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