Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Strömung riss regelrecht an ihm. Das Wasser musste das Ufer tief unterspült haben. Falls er sich noch weiter vorwagte, konnte jeder Schritt gefährlich werden. Gefährlich war es jetzt schon.
Statt sofort wieder herauszukommen, spähte er zum anderen Ufer, das etwa neun, zehn Armlängen entfernt lag. Dazwischen markierten große Steine, deren runde Kuppen ab zu im schäumenden Wasser sichtbar wurden, die alten Auflager ihrer Brückenkonstruktion. In der Mitte schoss der Bach mit gewaltiger Kraft zwischen den Steinen hindurch. In den vergangenen Wochen hatte es heftig geregnet, und nun tanzte Unrat vorbei: eine Menge Äste, Zweige und ein totes Rehkitz.
„Komm lieber raus“, bat Ulf beunruhigt.
„Wäre doch gut für dich, wenn ich ertrinke“, murmelte Felix und stützte sich am Fels ab, um den Halt nicht zu verlieren. Die Strömung war viel stärker, als er erwartet hatte.
„Armleuchter!“ Ulf streckte Felix die Hand hin, aber dieser ergriff sie nicht.
Bachaufwärts hatte sich an einem der ins Bachbett ragenden Felsen allerhand treibendes Gestrüpp zu einer festen Masse zusammengeschoben. Und noch ein Stück weiter hob sich aus dem tobenden Wasser etwas Dunkles hervor. Es war ein mächtiger Holzkloben. Er wirbelte um sich selbst, driftete am Ufer entlang, prallte gegen das Gestrüpp und setzte es in Bewegung.
Auf einmal wurde Ulf siedend heiß. „Los, komm raus.“ Er versuchte Felix’ Hand zu packen, aber der entzog sich dem Zugriff.
Aus dem heran gleitenden Zeug stachen Astenden wie Speerspitzen hervor.
„Hast du eine Ahnung, wie das ist zu ertrinken?“, fragte Felix, während er den Klotz beobachtete, der immer mehr Fahrt aufnahm.
Es war diese Ruhe in der Stimme, die Ulf erschreckte. Sie verschlug ihm die Sprache. Er konnte nichts tun, als sich in einer einzigen Bewegung auf dem Felsen langzumachen und Felix’ Hand zu ergreifen, bevor er wieder ausweichen konnte.
Aber aus eigener Kraft konnte er ihn nicht aus dem Wasser ziehen.
Die stachlige Reisigmasse rauschte wie eine Flutwelle heran. Der Klotz hielt genau auf Felix zu, er würde ihn von den Füßen reißen. Danach würde das Treibgut den Rest besorgen und ihn unter die Wasseroberfläche drücken.
„Wäre doch gut für dich, wenn du der einzige Sohn wärst.“ Felix starrte Ulf unverwandt an.
„Na, klar!“, fauchte Ulf.
„Dann lass los.“
„Du Mistkerl!“ Verzweifelt spannte Ulf die Armmuskeln an und zog mit aller Kraft an Felix’ Hand.
Der Klotz war höchstens noch eine Armlänge entfernt.
Auf einmal reagierte Felix. Er stemmte einen Fuß gegen den Fels und glitt mit Ulfs Hilfe aus dem Wasser, knapp bevor der Kloben gegen das Ufer schlug.
„Komm mir bloß nicht nahe!“, blaffte Ulf. Er war so wütend wie schon lange nicht mehr.
„Du bist klatschnass, wenn ... wenn Wittiges das sieht, ...“ Er stockte.
„... bin ich eben in den Bach gefallen, was soll’s?“ Felix grinste verhalten. „Übrigens kannst du ihn ruhig Vater nennen. Ich hab gerade beschlossen, in Zukunft Wittiges zu ihm zu sagen.“ Er wrang die nasse Tunika aus, als wenn nichts gewesen wäre.
„Wittiges ist ...“
„...dein Vater, nicht meiner.“
Jetzt war es ausgesprochen. Die Wahrheit, die nackte Wahrheit, die zwischen ihnen stand und ihnen so zu schaffen machte.
Ulf schwieg. Auf einmal hatte ihn die alte Schwierigkeit gepackt, seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Aber die Sache war zu wichtig, als dass er stumm bleiben durfte. Er riss sich zusammen.
„Das ist ziemlich gemein, was du da sagst“, knurrte er und hielt wieder inne. „Oder liegt dir so viel daran, einen Vater zu haben, der ... der ...“ Wer war sein Vater?
„... kein Bauer ist wie Wittiges? Stimmt genau. Mein Vater war König Athanagild von Toledo und meine Mutter eine burgundische Prinzessin. Ein König als Vater macht sich immer besser als ein Bauer, Schweinehirt oder Schmied.“ Aus Felix’ Stimme sprach so viel Bitterkeit, dass für Ulf weniger zählte, was er sagte als vielmehr wie. Über die Abstammung seines Stiefbruders kursierten die wildesten Gerüchte, er schenkte es sich, länger darüber nachzudenken. Wesentlich war nur, dass Wittiges nicht dessen Vater war. Aber die Anspielung auf den Schmied Karl, der so lange als Ulfs Vater gegolten hatte, kränkte ihn. Unversehens versetzte er Felix einen heftigen Puff und wappnete sich für den Gegenangriff.
Felix war zur Seite gekippt, richtete sich bedächtig wieder auf, rieb sich den Arm und
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