Der Hüter des Schwertes
Tomon zerkauen konnte. Er hob sie hoch, sodass sie den Futtersack über Tomons Kopf ziehen konnte, und sie half Martil, das Pferd zu bürsten, während es kaute. Als sie fertig waren, stand Pater Nott draußen und sah ihnen zu.
»Ihr solltet jetzt besser aufbrechen«, sagte er leise zu Martil. »Pack deine Sachen. Sie hat leider kaum etwas, das du mitnehmen könntest. Ich passe so lange auf sie auf. Der Bischof wird bald hier sein, und die Anwesenheit eines kleinen Kindes oder gar eines rallorischen Kriegers könnte ich nur schwer erklären. Was aber viel wichtiger ist, sie hat gerade gute Laune, und das machen wir uns am besten zunutze.«
Karia half Martil, Tomon zu satteln. Er zeigte ihr, wie man die Satteltaschen richtig befestigt. Ihren nächsten Halt würden sie in Wollin machen, einer Stadt, die einen ganzen Tagesritt entfernt war. Er hätte auch früher anhalten können, doch er wollte irgendwohin, wo er einige Dinge für Karia kaufen könnte. Schließlich war Bestechung schon immer eine gute Methode, um Leute für sich einzunehmen; auch im Krieg war es so gewesen. Pater Nott umarmte Karia lang und innig und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er ihr ein Schutzgebet mit auf den Weg gab. Er nickte Martil zu.
»Also, lass uns aufbrechen, Karia«, sagte er fröhlich.
Aber Karia war noch nicht bereit. Sie klammerte sich an Pater Notts Bein und schrie.
»Du kannst nicht hierbleiben«, sagte Martil zu ihr. »Du musst zu deinem Onkel gehen.« Ein plötzlicher Geistesblitz ließ ihn innehalten. »Und dein Onkel wäre traurig, wenn du nicht zu ihm kommen würdest. So wollte es auch dein Vater. Und du darfst Tomon auch die ganze Zeit streicheln.«
Sie nickte langsam und ließ Pater Notts Bein los. Martil streckte seine Hand aus, doch sie schrie und griff stattdessen nach Pater Notts Arm.
»Na schön!« Martil war am Ende seiner Geduld. »Pater, viel Glück. Genießt Euren Ruhestand. Ich werde Euch benachrichtigen, sobald Karia bei ihrem Onkel ist.« Dann hob er Karia ohne viel Federlesens hoch. Damit hatte sie nicht gerechnet und griff verzweifelt nach Pater Nott, der aber schon außer Reichweite war, als Martil sie sich über die Schulter gelegt hatte.
»Halte deinen Eid! Deine Zukunft hängt davon ab!«, rief Pater Nott.
Martil konnte ihn kaum verstehen, so laut schrie Karia. Sie versuchte auch, ihn zu schlagen – mitunter erfolgreich. So auf Tomon zu steigen, war kein leichtes Unterfangen, doch das Pferd stand geduldig still. Es gelang ihm schließlich, sich in den Sattel zu schwingen und Karia vor sich zu setzen. Dort konnte sie Tomon streicheln, aber nicht entkommen.
Der alte Priester winkte Karia hinterher, und es hatte den Anschein, als würde er weinen. Martil ritt über Umwege aus dem Dorf hinaus, um die Hauptstraße zu vermeiden. Karias Schreie wären den Anwohnern, die in den wenigen Häusern dort lebten, nicht entgangen.
Pater Nott sah ihnen nach und fragte sich, ob er genug getan hatte – oder zu viel. Jetzt lag es in ihren Händen. Er wünschte, er hätte mitgehen können, aber das war nicht seine Bestimmung. Das war eine bittere Wahrheit. Denn es gab Dinge, die er gesehen hatte, von denen er Martil aber nichts erzählt hatte. Eine Vision von den beiden, wie sie nicht nur einander, sondern auch eine dritte Person retteten, wodurch die dritte Person das Land und eventuell die Welt retten konnte. Wie oder vor welchem Unheil sie gerettet wurde, wusste er nicht. Es war jedoch der einzige Trost, den er hatte. Er musste einfach Vertrauen haben.
»Du solltest aufhören zu schreien, sonst wirst du noch krank«, sagte Martil zu Karia, während er eine immer größere Entfernung zwischen das Geschrei und das Dorf legte.
So funktionierte es nicht, also beschloss er, es mit einer Bestechung zu versuchen.
»Ich habe Honigmandeln. Die kriegst du aber nur, wenn du aufhörst zu schreien«, bot er ihr an, obwohl es ihm schwerfiel, die nötige Überzeugungskraft aufzubringen, wenn er die Worte brüllen musste.
Es schien jedoch zu funktionieren, denn aus dem Geschrei wurden Schluchzer, aus den Schluchzern wurde ein Schniefen, und dann konnte sie fragen: »Wo bleiben meine Honigmandeln?«
Er zog eine Handvoll aus der Tasche und sah sie mit unglaublicher Geschwindigkeit in Karias kleinem Mund verschwinden. Anscheinend hatte das viele Geschrei sie hungrig gemacht.
»Wann kann ich zurück zu Pater Nott?«, wollte sie wissen.
»Das haben wir doch schon geklärt. Du kannst nicht zurück. Du musst zu deinem
Weitere Kostenlose Bücher