Der Hüter des Schwertes
er zum Ende gekommen war.
»Ja«, sagte Martil. Er wäre der Erste gewesen, der zugegeben hätte, dass er kein guter Geschichtenerzähler war, aber es so deutlich gesagt zu bekommen, kam ihm doch etwas quer.
»Jetzt ist Schlafenszeit«, kündigte er an.
Aber Karia hatte nicht vor, ins Bett zu gehen. Hier gab es so vieles zu erkunden. Zunächst einmal würde sie herausfinden, was in den anderen Satteltaschen war – oder sich stattdessen eine ordentliche Geschichte erzählen lassen.
»Ich bin nicht müde«, teilte sie ihm mit. Das war auch bei Pater Nott immer ihre gewöhnliche Antwort gewesen.
»Aber ich bin müde«, sagte Martil nachdrücklich. Es war anstrengend, sich um sie zu kümmern.
»Wirst du wieder nach unten gehen, wenn ich schlafe?«, wollte sie wissen.
Es war sicherlich eine Versuchung, Kettering zu fragen, ob er ihm eine Frau schicken konnte. Aber Martil antwortete lächelnd: »Nein, ich gehe auch sofort schlafen.«
Aber Karia erkannte an seiner Stimme, dass etwas nicht stimmte. Ihr Paps und ihre Brüder waren nachts immer ausgegangen und hatten sie allein gelassen. Sie hatte es gehasst, in dem dunklen Haus ganz allein zu sein, hatte dann geweint und war unter Tränen eingeschlafen. Bei dem Gedanken, hier allein in der Nacht aufzuwachen, wurde ihr übel.
»Lass mich nicht allein. Ich mag die Dunkelheit nicht«, bat sie ihn.
»Ich würde dich nie allein lassen«, versuchte Martil sie zu überzeugen, weil er spürte, dass sie bei dem Gedanken fast weinen musste.
»Doch, würdest du. Du willst mich allein lassen. Du wolltest mich bei Pater Nott lassen, und jetzt willst du mich zu Onkel Danir bringen und mich dort lassen!«, sagte sie vorwurfsvoll. Sie mochte ihn zwar nicht, aber dennoch tat es weh, dass auch er sie allein lassen wollte. Niemand schien sie zu wollen. Das war so gemein! Ganz gleich, ob sie brav oder böse war: Alle ließen sie im Stich.
»Ich will dich allein lassen? Du wolltest doch selbst bei Pater Nott bleiben!«, protestierte Martil gekränkt. Dann sah er ihren Gesichtsausdruck. Er seufzte. »Ich werde nicht gehen. Ich verspreche es. Was kann ich tun, um dich zu überzeugen?«
Sichtlich erleichtert dachte sie einen Moment nach und fragte dann: »Kannst du mir die Haare bürsten?«
Martil versuchte, ihre Logik zu verstehen. »Warum? Willst du dich etwa fürs Schlafen schön machen?«
»Nein«, sagte sie und konnte nicht fassen, dass ein Erwachsener so dumm sein konnte. »Pater Nott hat mir auch immer die Haare gebürstet, und ich bin dabei eingeschlafen.«
Martil seufzte, stand auf und suchte in seinen Taschen, bis er ihre alte hölzerne Haarbürste gefunden hatte. Dann bürstete er ihr das Haar – eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Er musste vorsichtig sein, denn sobald sie eingeschlafen war, wollte er sie nicht wieder aufwecken, indem er mit der Bürste in einem Haarknoten hängen blieb. Als sie sich schließlich schon ein Weilchen nicht mehr bewegt hatte, hielt er den Atem an und zog die Bürste dann vorsichtig aus ihrem Haar – Karia rührte sich nicht, sondern atmete einfach leise weiter. Jetzt gehörte die Nacht ihm. Er könnte sich ein paar Getränke aufs Zimmer bestellen, noch etwas zu essen, und vielleicht auch in Erfahrung bringen, ob Kettering nicht ein paar Huren beschäftigte.
Dann sah er sie an, wie sie friedlich schlief. Und er wusste, dass er nichts davon würde genießen können. Er würde sich die ganze Zeit Gedanken um sie machen. Er hatte keine Ahnung warum. Sie war ein kleines, schreiendes Monster, das ihn hasste. Was war er ihr also schuldig? Er konnte keine Antwort darauf finden. Es fühlte sich einfach falsch an. Er überlegte, ob er aufstehen und in das andere Schlafzimmer gehen sollte, doch nicht einmal dafür hatte er noch genügend Kraft. Also ließ er seine Augen zufallen und schlief sofort ein.
Ein böser Ellbogenstoß gegen den Kopf weckte ihn. Er richtete sich auf, bereit sich zu verteidigen – sah jedoch nur Karia, die sich umgedreht und ihm im Schlaf den Stoß versetzt hatte. Er legte sich wieder hin und gähnte – wurde aber kurze Zeit später von einem harten Tritt gegen das Knie geweckt. Wieder stellte er fest, dass Karia fest schlief und gar nicht merkte, was sie tat.
»Schon verstanden«, brummte er und schwankte hinüber in das andere Schlafzimmer. Er hätte nie gedacht, dass er sich einmal freuen würde, ein leeres Bett für sich zu haben.
Kurz nach Mitternacht wurde er von einem Schrei geweckt. Mit ein paar Schritten
Weitere Kostenlose Bücher