Der Hüter des Schwertes
kommt nur nachts über die Grenze geschlichen, um uns zu überfallen«, knurrte der Wachtmeister. »Du kannst sie nicht zu ihm bringen; man wird dich dort töten!«
»Er wird schon herausfinden, dass ich nicht so leicht zu töten bin«, sagte Martil mit einer Zuversicht, die nicht ganz echt war. Wenn er – und davon war er bisher ausgegangen – das Mädchen bei irgendeinem Bauern absetzte, und selbst wenn es einer mit sechs kampffähigen Söhnen war, hatte er immer noch gute Aussichten, seine Reise anschließend gesund und munter fortsetzen zu können. Aber sie zu dem Anführer einer Räuberbande zu bringen … da konnte er sich auch gleich selbst die Kehle aufschlitzen. Was hatte der verdammte Priester gesehen? Dachte er, Martil würde sie eher behalten als Selbstmord begehen, indem er einem Räuberhauptmann auf die Nase band, dass er dessen Bruder und Neffen getötet hatte?
»Sei kein Narr! Du bist zwar mit Edil und seiner Brut fertig geworden, aber Danir wird von einem ganzen Dorf verteidigt. Da werden dreißig oder vierzig Männer auf dich warten. Lass das Mädchen doch einfach hier. Es gibt hier ein paar Familien, von denen ich weiß, dass sie sich freuen würden, ein kleines Kind aufzunehmen. Sie werden ihr ihre Flausen schon austreiben, und dann wird sie mit ihrem Leben etwas anfangen können. Das wäre besser als alles, was sie bei Danir erwartet. Und obendrein bleibst du am Leben.«
Martil geriet durchaus in Versuchung. Er begriff, wie Edils Sohn ihn hereingelegt hatte. Es war ihm überhaupt nicht um Karia gegangen – sie war nur ein Werkzeug, um sicherzustellen, dass Vergeltung für den Tod Edils und seiner Söhne geübt wurde. Wie sie sie vorbereitet hatten, was sie ihr über Onkel Danir erzählt hatten – wusste sie überhaupt, dass sie zu einem Räuberhauptmann gebracht wurde, bei dem sie leben sollte? Oder dachte sie, die Reise würde auf einem schönen Bauernhof enden?
Wenn er klug war, würde er sie der Miliz überlassen. Er wäre sie los und könnte allein weiterreiten. Sofort sah er sein erträumtes Haus am Meer vor Augen. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab, sie der Miliz zu überantworten. Vielleicht war es sein Gespräch mit Pater Nott. Der Priester hatte ihm wieder und wieder gesagt, dass sein einziger Pfad zum Leben nach Thest führe und dass alles andere seinen Untergang bedeute. Vielleicht lag es an den Eiden, die er geschworen hatte. Vielleicht war es sogar die Erinnerung an den Ausdruck auf Karias Gesicht in der letzten Nacht, als er versprochen hatte, sie nicht allein zu lassen.
Wie auch immer, seine Instinkte sagten ihm, dass er sie nicht hergeben sollte, und seine Instinkte hatten ihn in zahllosen Schlachten am Leben gehalten. Also vertraute er ihnen blind. Er würde sich später Gedanken um diesen Danir machen und sich jetzt erst einmal des Problems annehmen, dem er sich unmittelbar gegenübersah. Aber das alles konnte er irgendwelchen Milizsoldaten kaum erklären.
»Nein«, sagte Martil schlicht.
»Zwing uns nicht, sie festzunehmen«, warnte ihn der Wachtmeister. »Sie ist immerhin die Brut eines Verbrechers. Und dann wäre da noch die Kleinigkeit, dass sie uns ›Scheißeschaufler von der Miliz‹ genannt hat. Das reicht für eine Woche hinter Gittern.«
»Zwingt mich nicht, euch aufzuhalten«, sagte Martil kalt und sah dem Wachtmeister scharf in die Augen. Die frühe Stunde, der Mangel an Schlaf, der Streit mit Karia und die neuen Erkenntnisse über Onkel Danir verschmolzen zu einer kochenden Wut, die direkt hinter seinen Augen brodelte. Davon musste etwas zu sehen gewesen sein, denn der Wachtmeister gab rasch nach.
»Also gut, aber sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt. Und wenn du in irgendeinem lausigen Dorf in Tetril im Dreck liegst und deine letzten Wort keuchst, vergiss nicht, dass ich nicht da sein werde, um dir zu sagen: ›Ich habe es dir ja gesagt.‹«
Martil führte Karia an dem Trio vorbei und bot ihr abwesend ein Stück Käsebrot an.
»Wachtmeister, warum lassen wir ihn einfach gehen?«, fragte der Konstabler mit dem schütteren Bart.
Der Wachtmeister richtete den Blick seiner weltmüden Augen auf die beiden Konstabler.
»Jungs, wenn ihr das erst einmal so lange gemacht habt wie ich, dann werdet ihr wissen, wann ihr euch auf einen Kampf einlassen solltet. Wir werden nicht gut genug bezahlt, um uns mit seinesgleichen anzulegen.«
6
Graf Byrez wusste, dass ihm nur wenig Zeit blieb. Er hatte den Rückweg zu seiner Burg bewältigt, ohne dass er
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