Der Hundeknochen
darauf gefaßt, jeden Augenblick den Einschlag einer Kugel zu spüren.
Und dann kam der Schuß.
29.
Ein zweiter Schuß. Dann hatte ich die Büsche erreicht.
Ich lauschte.
Motorengeräusch, sie fuhren ab. Niemand suchte mich. Nirgendwo war eine Kugel eingeschlagen. Wahrscheinlich hatten meine freundlichen Begleiter nur in die Luft geschossen. Aber ihr Ziel, mich zu erschrecken, hatten sie nicht verfehlt. Mein Herz raste noch immer; gut, daß ich sowieso die Insel verlassen wollte, sonst hätte ich jetzt ein Problem gehabt. Es dauert ja immer ein wenig, bis man mutig wird.
Das waren so meine Gedanken, während ich in die Dunkelheit starrte. Vorsichtig entfernte ich mich von der Steilküste. Nach einigem Suchen stieß ich auf den Holperweg, über den wir gekommen waren, und von da aus fand ich dann zurück zur Asphaltstraße.
Das Schöne an dieser Insel war, daß es nur wenige befestigte Straßen gab und daß die alle zum Hauptstädtchen San Francisco führten.
Am besten sei es, Formentera per Fahrrad zu erkunden, hatte Karla gesagt, nur zu Fuß sei es noch schöner. »All die wunderbaren Gerüche um dich herum kriegst du mit, und zudem entwickelst du ein Gefühl für die Langsamkeit«, hatte sie geschwärmt. Recht hatte sie. Es dauerte Stunden, bis ich mein Hotel erreichte.
30.
Die Warteliste bescherte mir einen Fensterplatz. Mit meinen Kratzern im Gesicht und dem verbundenen Arm war ich unter den Fluggästen der Exot. Die übrigen Passagiere machten durchweg einen gut erholten Eindruck, ich sah aus, als hätte man mich vom Galgen geschnitten. Dafür schenkte mir die spanische Stewardeß ein Extralächeln. Mein Andenken, das halbe Paddel, verstaute ich im Gepäckfach.
Der Vogel hob ab und flog, ehe er den Kopf endgültig nach Norden richtete, eine Schleife über das südlich von Ibiza gelegene Formentera. Die Luft war glasklar. Das Meer schimmerte in allen Schattierungen von hellgrün bis tiefblau. Ich sah unter mir die Salinen wie ein buntes Schachbrett, die ockerfarbenen Piratentürme, die weißen Bauernhäuser und die Natursteinmauern, die einem großmaschigen Fischernetz gleich das flache Land überzogen. Aus der Entfernung sah die Insel noch schöner aus, wie eben alles.
Ich dachte an Karla, die im Hotel auf mich gewartet hatte. Beim Abschied am Morgen verriet sie mir, was ich längst schon geahnt hatte. Ihre beiden Kinder hatte sie erfunden, und mit ihrem spanischen Ehemann war sie hauptsächlich durch die monatlichen Überweisungen verbunden. Seit über einem Jahr lebte sie allein, las viel, entwarf Kleider für sich und ihre Bekannten und hatte Angst vor dem Älterwerden. Fast hatte es wie ein Angebot geklungen. Gut, daß ich wegflog, bevor ich mich an sie gewöhnte.
Während die Flugbegleiterin auf dem Bildschirm über mir ihre Stummfilmnummer mit der Schwimmweste abzog, überlegte ich, wie ich mich Gundula Stoll gegenüber verhalten sollte. Beim Bordessen, das sich durch eine schwarze Olive von dem Bordessen des Hinflugs unterschied, kam ich zu dem Schluß, Frau Stoll zunächst ganz normal als Auftraggeberin zu behandeln. Ich würde ihr mündlichen und schriftlichen Bericht erstatten und mein Honorar, also Tagessatz plus Spesen, kassieren. Erst danach, mit dem Geld in der Tasche, würde ich den Hammer auspacken. So nach dem Motto: alles durchschaut.
Beim Ablegen der Fähre hatte ich mit dem Teleobjektiv vom Schiffsdeck aus das Hafengelände abgesucht und auch einige Fotos geschossen. Ich war mir sicher, daß weder Werner Stoll noch dessen Freundin meine Abreise beobachtet hatten. Da meine Klientin nicht mit meiner vorzeitigen Rückkehr rechnete, konnte ich noch Erkundigungen über sie einholen. Mit ein bißchen Geschick und dem Vorteil der Überraschung würde ich durch sie womöglich etwas über die Unfallspezialisten vom Bau herauskriegen. Gundula Stoll war der Punkt, wo ich ansetzen mußte.
Ich löffelte den Nachtisch, der sich vom Nachtisch des Hinflugs darin unterschied, daß der Früchtejoghurt eines amerikanisch-holländischen Konzerns diesmal aus einer spanischen Fabrik kam. Dann schlummerte ich ein.
Als das Düsengeräusch im Landeanflug wechselte, wachte ich auf. Die Maschine stieß durch die Wolken; ordentliche Häuser in ordentlicher Landschaft tauchten auf, die Autobahnen, der Rhein, das Rollfeld, das Band mit der Beruhigungsmusik ertönte, wir landeten.
Da ich nur Handgepäck hatte, marschierte ich am Kofferband vorbei direkt zum Ausgang. Ich durchschritt
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