Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
natürlich.«
Zuweilen kommt es vor, dass der Mund sich schon wieder bewegt, während das Hirn noch stillsteht, und so ging es Staatsanwalt Ranelid wohl auch, als er – ganz im Widerspruch zu seinem eigentlichen Beschluss – nachhakte:
»Wie? Sie haben den Himalaya überquert? Mit Ihren hundert Jahren?«
»Sind Sie wahnsinnig?«, fragte Allan. »Ich bin nicht schon immer hundert Jahre alt gewesen, das muss Ihnen doch klar sein. In der Tat bin ich erst seit Kurzem hundert.«
»Können wir nicht …«
»Wir alle wachsen auf und werden älter«, fuhr Allan unbeirrt fort. »Als Kind glaubt man das noch nicht so … nehmen Sie zum Beispiel den jungen Herrn Kim Jong-il. Der Arme saß heulend bei mir auf dem Schoß, und jetzt ist er Staatschef mit allem, was dazugehört …«
»Können wir das nicht überspringen, Herr Karlsson, und stattdessen …«
»Ja, natürlich, Entschuldigung. Der Herr Staatsanwalt wollte ja hören, wie das war, als ich den Himalaya überquerte. Zuerst hatte ich monatelang nur Gesellschaft von einem Kamel, und von Kamelen mag man ja behaupten, was man will, aber besonders lustige Gesellschaft …«
»Nein!«, schrie Staatsanwalt Ranelid. »Ich wollte überhaupt nichts davon hören. Ich wollte … ich weiß nicht … Können Sie nicht einfach …«
Und dann verstummte er ein Weilchen, um anschließend mit ganz leiser Stimme zu erklären, dass er keine weiteren Fragen habe … höchstens noch die, warum die Freunde sich über Wochen hier in der Västergötland-Ebene versteckt hatten, wenn es doch gar nichts gab, wovor sie sich hätten verstecken müssen.
»Sie waren doch alle unschuldig, oder?«
»Mit der Unschuld ist das so eine Sache«, gab Benny zu bedenken. »Es kommt immer darauf an, aus welcher Perspektive man die Dinge betrachtet.«
»So was hab ich mir auch gedacht«, stimmte Allan zu. »Nehmen Sie nur Präsident Johnson und de Gaulle, die ein sehr schlechtes Verhältnis hatten. Wer war da schuldig und wer war unschuldig? Ich hab das Thema zwar nicht zur Sprache gebracht, als wir uns trafen, wir hatten ja anderes zu bereden, aber …«
»Bitte, Herr Karlsson«, unterbrach ihn Staatsanwalt Ranelid. »Wenn ich Sie auf Knien anflehe – sind Sie dann endlich mal still?«
»Da müssen Sie mich doch nicht auf Knien anflehen, Herr Staatsanwalt. Ich werde still sein wie ein Mäuschen, das verspreche ich. In meinen hundert Jahren ist mir die Zunge nur zweimal ausgerutscht, einmal, als ich dem Westen erzählt hab, wie man eine Atombombe baut, und einmal, als ich es dem Osten erzählt hab.«
Staatsanwalt Ranelid fand, dass eine Atombombe schon mal das eine oder andere Problem lösen konnte, vor allem, wenn sie unter Allan Karlsson detonierte. Aber er sagte nichts. Er konnte nichts mehr sagen. Die Frage, warum sich die Freunde drei Wochen lang nicht zu erkennen gegeben hatten, während sie zur Fahndung ausgeschrieben waren, wurde auch nie mehr beantwortet. Höchstens in Form bereits geäußerter philosophischer Andeutungen, dass man unter Gerechtigkeit in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Dinge verstehen konnte.
Da stand Staatsanwalt Conny Ranelid langsam auf und bedankte sich leise, für die Melone, für den Kaffee und die Zimtschnecken, für … das Gespräch … und für die Kooperationsbereitschaft der Freunde auf Klockaregård.
Daraufhin verließ er die Küche, setzte sich in sein Auto und fuhr davon.
»Das ging ja richtig gut«, sagte Julius.
»Absolut«, sagte Allan. »Ich glaube, ich hab fast alles unterbringen können.«
* * * *
Während Staatsanwalt Ranelid auf der E20 in nordöstlicher Richtung dahinfuhr, löste sich allmählich seine geistige Lähmung. Stück für Stück ging er die Geschichte in Gedanken noch einmal durch, die er sich gerade hatte anhören müssen. Er fügte hier etwas hinzu und ließ dort etwas weg (hauptsächlich ließ er weg), glättete und polierte, bis er glaubte, die Erzählung so weit frisiert zu haben, dass er sie den Journalisten auf der Pressekonferenz verkaufen konnte. Das einzige Detail der Geschichte, dessen Glaubwürdigkeit dem Staatsanwalt wirklich Kummer machte und das ihm wohl auch die Reporter kaum abkaufen würden, war der vorzeitig auftretende Leichengeruch bei Allan Karlsson.
Da nahm in seinem Kopf plötzlich eine ganz andere Idee Gestalt an. Dieser verfluchte Polizeihund … Wenn man nun einfach dem Hund die Schuld gab?
Denn wenn Ranelid den Leuten glaubhaft machen konnte, dass der Hund gesponnen
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