Der Hypnosearzt
gesteckt?«
Pascal holte Luft. Seine Schultern hoben sich. Viele Dinge dachte er in dieser Sekunde, und er dachte sie alle auf einmal. Wenn ich nur dreißig Jahre jünger wäre, dachte er. Und dann dachte er daran, wie es sein würde, wenn er den ganzen Laden auffliegen ließ. Das Material, das er in der Hand hatte, reichte dazu. Danach dachte er gar nichts mehr, sondern schrie:
»Du, Landet, du hast ja deinen miesen Kahn längst verscherbelt. Aber macht ja nichts. Kannst ja den Kellner spielen oder deine Frau als Nutte losschicken.«
Landets Glas zerknallte am Boden. Die anderen versuchten, ihn festzuhalten, doch wie? Und da kam er schon, die Hände ausgestreckt, die Augen schmal, ein Grinsen im unrasierten Gesicht.
Pascal sah die dicken Venen auf Landets Pranken. Angst spürte er nicht, eher Ärger, Ärger über sich selbst. Ein genialer Einfall, dir diesen Schlägertypen auf den Hals zu holen. Wirklich genial! Landets Augen glitzerten. Der Weingeruch aus seinem Mund und der Fischgestank, den sein Pullover verbreitete, stieg Pascal in die Nase.
»Wie war das gerade, Alter?«
Pascal schwieg, aber er wich dem Blick nicht aus. Er sah Landet immer weiter in die Augen.
»Ein alter Mann, der es nicht lassen kann. Ein alter Mann, der immer die Klappe aufreißen muß, weil er sich ja so furchtbar intelligent vorkommt.«
»Du bist das leider nicht, Landet.«
»Wie willst du's haben, Lombard? Auf einmal – oder stückweise? Womit soll ich anfangen? Mit deiner dämlichen Birne, deinem Maul … Such's dir aus.«
Es war totenstill.
Landet schüttelte den Kopf. Doch dann ließ er die Arme sinken.
»Wenn du nicht so ein armes altes Schwein von Krüppel wärst, Lombard«, sagte er und drehte sich ab.
Picot beugte den Oberkörper über die Theke. »Zahl später, Pascal«, flüsterte er. »Muß ja nicht sein.« Er reichte ihm die Drahtrolle. Pascal nickte und hinkte zum Ausgang. Draußen war es nun ganz dunkel geworden. In der Volksschule sangen sie Choräle.
Pascal verstaute die Rolle auf dem Gepäckträger, setzte sich in den Sattel und warf noch einen Blick zurück zu Picots Laden.
Du hast den Fehler gemacht. Du hast dich aufgeführt wie ein Besoffener, es war deine Schuld. Doch was heißt hier noch Schuld? dachte er. Sie waren alle verrückt geworden, und es half nur noch eines: die Bombe hochgehen zu lassen. Du hast es in der Hand – alles. Jetzt kannst du nicht mehr länger warten.
Pascal Lombard brauchte fünfunddreißig Minuten zum Col. Meist schaffte er die Strecke in fünfundzwanzig Minuten, aber die Mobilette war jetzt achtzehn Jahre alt, und mit dem asthmatischen Motor brachte der Dynamo auf dem langen Weg durch den Wald nichts zustande als einen trüben tanzenden Lichtfleck.
Am Fels, der Biegung vor der letzten Kurve, nahm Pascal das Gas weg. Das Stück Weg, das von der schmalen Straße zum Haus führte, hatte er vor zwei Jahren zusammen mit seinem Sohn Fabien selbst asphaltiert, und so konnte er die Mobilette im Leerlauf rollen lassen. Er kam an der Höhle vorbei, in der er den Krempel aufbewahrte, den er nicht brauchte, aus dem sich aber vielleicht noch irgend etwas Verwertbares machen ließ.
Hier schon merkte Pascal, daß etwas nicht stimmte.
Er trat auf die Bremse.
Alles schien wie immer. Der alte gasbetriebene Eisschrank, den er bereits vor zwei Jahren ausrangiert hatte, leuchtete hell im Licht des Mondes. Fabiens 2CV rostete mit platten Reifen vor sich hin. Aber der Kater fehlte.
»Néro«, rief Pascal leise.
Nichts. Nur das Rauschen des Windes in den Pinien war zu hören.
»Néro, komm …«
Néro war acht Jahre alt und mit Pascal damals aus dem Haus in Saint-Michel auf den Col gezogen. Kam Pascal zurück, wartete der Kater hier in der Höhle auf ihn. Sein Lieblingsplatz war der Eisschrank.
Nichts.
Pascal hatte die Mobilette ein paar Schritte geschoben. Der Garten und die Waldlichtung lagen vor ihm. Mit dem schwarzen Schatten des Daches erschien das Haus mächtig und groß wie eine Festung.
Pascal wollte sich wieder in den Sattel setzen, ließ es jedoch bleiben.
Da drüben – gleich neben dem Eingang. Ein Licht blitzte auf.
Dann war es wieder dunkel.
Einbrecher, dachte Pascal, elendes Gesindel, Drogenpack, ein paar von den Typen, die von den Campingplätzen heraufkamen und die Gegend unsicher machten, um sich ein paar schnelle Francs für den nächsten Schuß zu besorgen.
Er saß wieder auf, fuhr die letzte Strecke und stieg ab. Noch spürte er keine Angst, nie hatte er sie hier
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