Der Hypnosearzt
Borodins Lachen. Ein freudiges Lachen war es nicht.
Bergmann sah auf seine Uhr: halb acht.
Ein einziges Mal hatte Stefan den Salon durchquert, um seine Jacke zu holen, die auf einer der Bänke lag. Sie saßen an dem großen Mahagonitisch in der Ecke, Maria an der Stirnseite, die beiden Anwälte in den Sesseln und Borodin und Lindner auf der Bank. Sie hatten ihr Gespräch nicht unterbrochen, als Bergmann den Salon betrat, sie hatten nicht einmal aufgeschaut. Die Klimaanlage hielt die Luft sauber, doch in dem Aschenbecher häuften sich die Kippen. Nur Borodin, dem es offensichtlich gutging, hatte Stefan noch zugewinkt. »Komm her, du Wundertäter! Sieh mal, wie mein Kopf wieder funktioniert.«
Stefan hatte sich ein Mineralwasser und ein Glas genommen und sich dabei gefragt, was Maria bei diesen hitzigen Geldgesprächen eigentlich für eine Rolle spielte. Einige Sätze waren bei ihm haften geblieben:
»Einundsechzig Millionen Dollar waren das, Boris! Die stammten alle aus unserem Investment-Fonds. Und du ziehst sie einfach ab?«
»Abziehen? Sei mit deinen Worten ein bißchen genauer … Ich hab sie in dieser Thai-Geschichte angelegt. Mit Gewinn. Der fließt auch zurück.«
»Aber wir waren hier ohne Mittel und konnten es ausbaden.«
»Was denn? Du hast doch die Leute von Amoros für so was. Oder halten die dich knapp? Und außerdem, wenn ich dich erinnern darf: Die Haupteinlage des Fonds' stammt sowieso …«
Und außerdem, dachte Stefan Bergmann, was interessiert dich das alles?
Er suchte wieder seinen Liegestuhl an Deck auf. Der Wind kühlte den leichten Sonnenbrand auf seiner Haut. Er schloß die Augen. Was geht es dich an, wie sich russische Millionäre ihre Millionen beschaffen und warum sie zum Beispiel statt Hemd und Krawatte Tatarenjäckchen und nackte Haut tragen …
Er drehte den Kopf und verfolgte den Kurs einer anderen Yacht.
In langen Reihen brannten dort die Laternen. Sie war riesengroß, und sie strebte ziemlich genau nach Süden, ein Monster von Yacht, selbst den Hubschrauberlandeplatz konnte Stefan am Heck ausmachen. Kein Mensch war zu sehen. Vielleicht hatten die dort drüben auch gerade eine Konferenz? Nach der Größe zu urteilen, mußte das Schiff einem Araber-Scheich gehören. Vielleicht wurde darauf gerade Saint-Tropez oder Cannes oder die ganze Côte verscherbelt?
Ich muß Christa anrufen! Stefan nahm innerlich Anlauf. Er wollte Worte, Sätze formulieren – und kapitulierte.
»Drei-zwei-eins«, hörte er eine Stimme, dann ein Fingerschnippen. »Und weg!«
Stefan schlug die Augen auf.
Maria Lindner! Sie stand vor ihm und lächelte auf ihn herab. Das weiße Männerhemd hing bis zur Mitte ihrer nackten Oberschenkel. Er sah ihr Gesicht, die Augen – und den Abendhimmel. Damit mußte er erst einmal fertig werden.
»Geht es da drinnen noch immer um Dollars?« fragte er schließlich.
»Für mich geht's nur um eines: Wie haben Sie das geschafft, die Sache mit Borodins Ischias? Das müssen Sie mir mal erklären, Stefan.«
Stefan? dachte er. Nicht mehr ›Herr Doktor‹, und bei Lindner sind wir bereits bei Thomas und du. Na schön, dies ist eine Yacht im Mittelmeer, und auf Mittelmeer-Yachten gibt man sich nun mal zwanglos …
»Bitte nicht«, wehrte er ab.
»Bitte doch. Es ist … ja, es ist irgendwie wichtig für mich.«
»Ja? – Wieso?«
»Das erklär ich Ihnen noch. Ganz abgesehen davon, sind solche Tricks, die nicht nur Menschen, sondern auch Krankheiten beeinflussen, nicht unglaublich interessant? Woher rührt eine – nun ja, eine derartige Macht?«
Nun richtete er sich doch auf. Mit dem Kinn deutete er zur Salontür. »Dort drüben, diese Gespräche; Sie saßen doch die ganze Zeit dabei. Da ging es um Macht, Macht über Geld. Und damit über Menschen.«
»Und bei der Hypnose?«
»Bei der Hypnose kommt es auf die Perspektive an. Macht? Was ist Macht? Maria, Sie sollten jemand anderen fragen. Ich bin Arzt. Macht interessiert mich nicht.«
»Gut, dann frage ich Sie als Arzt, Stefan. Die Geschichte läßt mir einfach keine Ruhe. Was hatte Boris? Hat er uns seine Schmerzen nur vorgespielt? Ähnlich sehen würde es ihm …«
»Das war schon eine echte Ischias-Attacke.«
»Und Sie versetzen ihn in Trance, und der Schmerz ist weg. Tut mir leid, das läßt mir einfach keine Ruhe, das will ich wissen.«
»Da verlangen Sie ziemlich viel. Das alles ist schon uralt. Hypnose wird seit zweitausend Jahren praktiziert, die Naturvölker haben nie damit aufgehört. Wie sie nun genau
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