Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
überfüllten, dreckigen Flüchtlingslagern hausen, während am Westufer des Jordan die Israelis auf uns spucken. ‹ Das sind die Dinge, die mir zu Ohren kommen.«
»Was für ein Blödsinn!« explodierte Kendrick. »Abgesehen davon, daß diese abgegriffene Medaille auch eine Kehrseite hat, hat das nichts mit den zweihundertsechsunddreißig noch lebenden und schon gar nichts mit den elf bereits abgeschlachteten Geiseln zu tun. Sie machen keine Politik, weder gerechte noch ungerechte. Es sind unschuldige Menschen, die von diesen Bestien terrorisiert, gequält und gefoltert werden. Wie, zum Teufel, können verantwortungsbewußte Menschen so etwas sagen? Das da drüben ist weder das Kabinett des Präsidenten, noch sind es die Falken von der Knesset. Es sind Zivilangestellte, Touristen und Familien von Angestellten verschiedener Bauunternehmen. Ich wiederhole: Das ist der reine Blödsinn!«
Mustafa saß steif auf dem Sofa, die Augen noch immer auf Kendrick gerichtet. »Ich weiß das, und du weißt das«, entgegnete er ruhig. »Und sie wissen es auch, mein Freund.«
»Dann – warum?«
»Gut, du sollst die Wahrheit wissen«, fuhr Mustafa ebenso leise wie vorher fort. »Zwei Zwischenfälle haben zu den unheilvollen Ereignissen geführt. Und der Grund, warum niemand sich einmischen will, ist schlicht und einfach der, daß wir unsere Familien davor bewahren wollen, zu Zielscheiben dieses fanatisierten Hasses zu werden.«
»Zielscheiben? Eure Familien?«
»Zwei Männer, den einen will ich Mahmud, den anderen Abdul nennen – was natürlich nicht ihre richtigen Namen sind, doch es ist besser, wenn du sie nicht kennst. Mahmuds Tochter wurde vergewaltigt, ihr Gesicht bestialisch zugerichtet. Abduls Sohn wurde in einer Gasse im Hafenviertel, direkt vor dem Büro seines Vaters, die Kehle aufgeschlitzt. ›Verbrecher, Mädchenschänder, Mörder< sagen die Behörden. Aber wir alle wissen es besser. Es waren Mahmud und Abdul, die zum Kampf gegen die Terroristen aufgerufen hatten. ›Waffen!‹ riefen sie. ›Stürmt die Botschaft! Maskat darf kein zweites Teheran werden! ‹ Doch am Ende waren es nicht sie, die leiden mußten. Es waren die Menschen, die ihnen nahestanden, ihr kostbarster Besitz. Wir sind gewarnt, Evan. Verzeih, aber wenn du Frau und Kinder hättest, würdest du sie einer solchen Gefahr aussetzen? Ich glaube nicht. Die kostbarsten Juwelen sind nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut. Unsere Familien. Ein wahrer Held unterdrückt seine Furcht und riskiert sein Leben für
das, woran er glaubt, aber er schreckt zurück, wenn der Preis das Leben der Menschen ist, die er liebt. Hab’ ich recht, alter Freund?«
»Mein Gott«, flüsterte Evan. »Ihr werdet nicht helfen. Ihr könnt ganz einfach nicht.«
»Es gibt aber jemand, der mit dir sprechen, der hören will, was du zu sagen hast. Doch das Treffen muß streng geheim bleiben. Es wird weit draußen in der Wüste stattfinden, am Fuß der Berge von Dschabal Scham.«
»Und wer will mit mir sprechen?«
»Der Sultan.«
Kendrick antwortete nicht sofort. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah Mustafa an. »Ich darf keine Verbindung zu offiziellen Stellen aufnehmen«, sagte er. »Und der Sultan hat doch wohl eine ziemlich offizielle Stellung. Ich bin nicht Beauftragter meiner Regierung, soviel muß klar sein.«
»Heißt das, es liegt dir nichts daran, dich mit dem Sultan zu treffen?«
»Im Gegenteil, mir liegt sehr viel daran. Ich wollte nur klarstellen, wo ich stehe. Ich habe nichts mit den Geheimdiensten, nichts mit dem Außenministerium und schon gar nichts mit dem Weißen Haus zu tun.«
»Ich denke, das ist klar. Deine Kleidung und deine Hautfarbe sprechen eine deutliche Sprache. Und der Sultan möchte ebensowenig wie das Weiße Haus mit dir in Verbindung gebracht werden.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich ganz auf dem laufenden bin«, sagte Kendrick und trank einen Schluck. »Der alte Sultan starb ungefähr ein Jahr nachdem ich von hier fortging, nicht wahr? Eine Zeitlang habe ich bewußt weggehört, wenn von diesem Teil der Welt die Rede war – eine ganz natürliche Aversion, meinst du nicht?«
»Eine verständliche. Unser jetziger Sultan ist sein Sohn. Eher in deinem Alter als in meinem, sogar noch jünger als du. Er hat in England die Schule besucht und in deiner Heimat studiert. Dartmouth und Harvard, um genau zu sein.«
»Er heißt Achmad«, warf Kendrick ein. »Jetzt fällt mir’s wieder ein. Ich bin ihm ein paarmal begegnet. – Wirtschaft
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